CO2 Menü
Totale Transparenz
Im Fine-Dining-Restaurant 1950 zeigt Bio-Spitzenkoch Simon Tress, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz für ihn keine Lippenbekenntisse sind: Bei allen Gerichten erfährt der Gast, welche Zutaten sie enthalten, wieviele Kilometer sie vom Erzeuger bis ins Restaurant hinter sich gebracht haben und wieviel CO2 sie ausstoßen
Gleich zu Beginn wird es spannend: Vor dem Gast auf dem Tisch steht das Amuse gueule in Form eines Würfels aus nachhaltiger Pappe mit der Aufschrift „Ihr Menü“ und dem Zusatz „1950 bio. echt. fein“. Wenn der Gast den Würfel öffnet, findet er darin ein Porzellanschälchen mit je einer Nocke Auberginen- und Tomatenmus in einem feinen Sud sowie Lesestoff, der mit der Restaurantphilosophie vertraut macht.
Es war im Jahr 1950, als Großvater Johannes Tress den biologisch-dynamischen Gedanken nach Hayingen-Ehestetten mitbrachte. Er legte den Grundstein für ein einzigartiges Familienunternehmen und das neue Restaurantkonzept, das sein Enkel Simon Tress – 70 Jahre später – eröffnet hat. „Unser Restaurant 1950 ist deutschlandweit, vielleicht sogar in Europa und der Welt, das erste Fine-Dining-Restaurant, in dem ein komplettes CO2-Menü angeboten wird, für das zu 99 Prozent verbandszertifizierte Bio-Lebensmittel von Demeter und Bioland verarbeitet werden“, sagt der Erfinder. „Damit ist das 1950 die konsequente kulinarisch-kreative Fortsetzung unserer nachhaltigen Unternehmensphilosophie.“
Der 36-Jährige ist Deutschlands bekanntester Bio-Koch und offizieller Genussbotschafter des Landes Baden-Württemberg. Mit seinen drei Brüdern Daniel, Dominik, Christian und Mutter Inge Tress hat er ein Bio-Imperium auf der Schwäbischen Alb geschaffen, dass 70 Festangestellte beschäftigt. Neben dem Stammhaus Rose mit Restaurant und Hotel gehören dazu eine Ausflugsgastronomie (Wimsener Höhle), ein Catering-Unternehmen mit Exklusiv-Locations, ein Gasthaus-Konzept (Heimatküche) sowie eine Suppen- und Menü-Produktion für Lebensmittelhandel und Bistros (Tress Brüder). Das Restaurant 1950 ist seit August das jüngste Mitglied im Portfolio. Dafür hat Simon Tress die ehemalige Kochschule auf dem Grundstück rund ums Stammhaus zu einem Fine-Dining-Restaurant mit offener Küche umgebaut, in dem er die Bio- und Genuss-Philosophie seiner Familie auf die Spitze treibt.
Im 1950 geht es um die Verdeutlichung der Rose-Grundsätze durch totale Transparenz. Um sie zu erreichen, sind Simon Tress die Grundsätze Bio und Regionalität bei der Produktauswahl längst nicht genug: Bei jedem Gericht nennt er dem Gast zusätzlich die Herkunft sämtlicher Zutaten – von der jeweiligen Hauptzutat über die begleitenden Komponenten bis zum Salz: Der Gast erfährt, wieviele Kilometer das jeweilige Produkt vom Erzeuger bis ins Restaurant transportiert wurde und welchen CO2-Fußabdruck es hinterlässt. Fleischkomponenten schlagen da natürlich deutlich höher zu Buche als Gemüse und Kräuter. Mit jedem Gang werden an den Gast kleine Kärtchen ausgegeben, auf der die Erzeuger sämtlicher Zutaten kurz portraitiert werden. Die Kärtchen passen exakt zum Sammeln in den Pappwürfel, in dem zuvor das Amuse gueule serviert wurde. Außerdem kann der Gast am Ende eines genussreichen Abends mehrere DIN A4-Blätter mit seinem Demeter & Bioland CO2-Menü mit nach Hause nehmen – quasi zum Nachlesen von Zutaten und Zubereitung bzw. zum Nachkochen. Totale Transparenz eben!
„1950 bedeutet für uns Hingabe und Respekt für das, was die Natur uns täglich schenkt, und Dankbarkeit für das, was unsere Eltern und Großeltern geschaffen haben“, unterstreicht Simon Tress, der das Restaurant mit einem kleinen Team aus einer frisch gebackenen Köchin, die ihre Ausbildung im Restaurant-Hotel Rose absolviert hat, und einer Kochauszubildenden sowie einer Servicefachkraft führt. An vier Abenden in der Woche gibts im 1950 ein Menü aus fünf vegetarischen Gängen, die um einen Käsegang auf sechs Gänge erweitert werden können. Außerdem hat der Gast die Möglichkeit, bei drei der fünf Gänge ergänzend eine Fleischkomponente – zum Beispiel Gockel, Lamm, Rind – gegen Aufpreis extra zu bestellen. Das Basismenü kostet 89 Euro, die sehr stimmige Weinbegleitung zusätzlich 49 Euro. Sie wurde von Evangelos Pattas, Sommelier & Inhaber vom Restaurant Delice in Stuttgart, für das 1950-Menü gemeinsam mit dem Rose-Team zusammengestellt.
In seinem Herzensprojekt 1950 arbeitet Simon Tress, so wie er auch als verantwortlicher Küchenchef aller Tress-Gastronomie und Catering-Betriebe agiert: Er verwertet Lebensmittel stets im Ganzen; das heißt konsequent nach den Prinzipien Leaf-to-Root und Nose-to-Tail. Die beiden Begriffe sind für ihn kein Lippenbekenntnis: Dank der verschiedenen Betriebstypen der Tress-Gastronomie können wirklich alle Teile eines Lebensmittels verwertet werden. Es entsteht so gut wie kein Lebensmittelabfall. Das hat nicht zuletzt ganz praktische Konsequenzen für das 1950-Menü. Simon Tress: „Aufgrund der Einbeziehung der ganzheitlichen, lokalen Kreislaufwirtschaft werden wir im Restaurant 1950 kein rein vegetarisches oder veganes Menü servieren, sondern auch die edlen Fleischteile einbeziehen.“
Text: Sabine Romeis
Fotos: Rose/Restaurant 1950; Sabine Romeis