Brainlab München
Kantine ohne Speiseplan
Das Betriebsrestaurant des Unternehmens für softwaregestützte Medizintechnologie gehört zu den besten in ganz Deutschland – dank Catering-Dienstleister Stefan Köglmeier mit seinem Unternehmen Ess Frequenz
Einen festen Speiseplan, der sich in regelmäßigen Abständen wiederholt, sucht man im Betriebsrestaurant von Brainlab vergebens. Er würde die Arbeit deutlich erleichtern, denn Bestellung, Kalkulation und Kennzeichnung von Zusatzstoffen wären quasi auf Knopfdruck möglich. Stefan Köglmeier hat sich für einen anderen Weg entschieden: Auf Basis der Marktlage und je nach Verfügbarkeit von Produkten entscheidet er sehr kurzfristig, welche Gerichte an den Frontcooking-Stationen mit jeweils drei gasbetriebenen Power-Woks zubereitet werden. „Wir wissen zwar am Freitag, was es am Montag geben wird, aber was am Dienstag gekocht wird, besprechen wir erst am Montag.“
Die Rahmenbedingungen der Betriebsgastronomie bei Brainlab unterscheiden sich deutlich von denen in vielen anderen Unternehmen. Stefan Vilsmeier, Unternehmensgründer und Vorstandsvorsitzender, hat früh erkannt, welchen Stellenwert ein gutes Mitarbeiterrestaurant hat, um die Attraktivität als Arbeitgeber kontinuierlich auszubauen. „Den Fachkräftemangel gibt es ja nicht nur in der Gastronomie“, sagt Stefan Köglmeier, „auch die Software-Branche muss sich etwas einfallen lassen, um gegen Mitbewerber um die begehrten Arbeitskräfte zu punkten.“ Brainlab ist ein Unternehmen für softwaregestützte Medizintechnologie und empfängt pro Jahr rund 1000 Besuchergruppen im Haus, darunter sind Professoren und Wissenschaftler aus aller Welt. „Früher wurden sie auswärts in Münchener Restaurants und Hotels beköstigt, jetzt essen sie bei uns gemeinsam mit unseren Mitarbeitern an einem Tisch“, sagt Stefan Kögelmeier.
Rund 90 Prozent der rund 750 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen am Standort München kommen mittags zum Essen, obwohl es im benachbarten Einkaufszentrum Riem Aracaden einen Food-Court mit attraktivem Angebot gibt. Statt das Unternehmen für mindestens eine Stunde oder länger für einen Teller Pasta, eine Pizza oder einen Burger zu verlassen, die inklusive Getränk und Kaffee locker 10 bis 15 Euro pro Person kosten, können die Mitarbeiter im Betriebsrestaurant für 3,20 Euro bis maximal 5,50 Euro aus fünf Tagesgerichten mit diversen Komponenten wählen.
Nach wie vor haben die meisten Menschen bei dem Wort „Kantine“ noch immer das Bild der 80er Jahre im Kopf – Esssäle, von gigantischen Free-Flow-Anlagen aus Glas und Edelstahl dominiert, Tische mit Plastikstühlen, ein paar Grünpflanzen und Warteschlangen an den Ausgabebereichen und Kassen. Auf die Frage nach dem Unterschied zwischen klassischer Gastronomie und seinem Betriebsrestaurant reagiert Stefan Köglmeier daher fast ein bisschen ungehalten: „Für mich gibt es, bis auf die deutlich attraktiveren Arbeitszeiten, überhaupt keine Unterschiede mehr, da wir genau wie einem Spitzenrestaurant mit tollen Zutaten aus der Region total abwechslungsreich kochen können.“
Das Verpflegungsmuster Fleisch, Beilage und Soße ist Stefan Köglmeier zuwider, „stattdessen werden bis zu zwölf Komponenten auf einem Teller angerichtet, teilweise wie in der Sternegastronomie mit Pinzette.“ Serviert wird das Essen auch nicht auf den klassischen weißen Kantinentellern mit Fahne, sondern passend zum jeweiligen Gericht kann das Küchenteam aus inzwischen 30 Anrichtemöglichkeiten wie beispielsweise Bowls, Glasplatten, handgefertigtem Geschirr aus Japan oder kleine Gusspfannen wählen.
„Ich hasse Tabletts“, sagt Stefan Köglmeier, „sobald man so ein Plastikteil in der Hand hat, kommt Kantinen-Feeling auf.“ Bei Brainlab dagegen nehmen die Gäste ihre Teller an der Frontcooking-Station in Empfang und setzen sich an große Holztische, auf denen bereits Gläser und Besteck eingedeckt sind. Zudem gibt es mehrere Wasserspender im Restaurant, aus denen sich die Gäste kostenfrei bedienen können. Nach rund 30 Minuten Mittagspause sind die Gäste fit für den Nachmittag und kehren erholt an ihren Arbeitsplatz zurück. Das berüchtigte Müdigkeitsloch nach dem Mittagessen, ausgelöst durch eine eher kalorienreiche, fetthaltige und süße Ernährung, wird durch die leichte und ausgewogene Küche von Stefan Köglmeier verhindert.
Die Nachfrage nach veganen und vegetarischen Gerichte steigt kontinuierlich, da immer mehr Gäste bewusst ihren Fleischkonsum reduzieren. Wenn Fleisch, dann muss es richtig gut sein, und die Gäste wollen wissen, wo es herkommt und wie es produziert wird. Themen wie regionaler Einkauf, Nose-to-tail-Konzepte oder nachhaltiges Handeln sind daher für Stefan Köglmeier schon seit Jahren eine Selbstverständlichkeit. „Auch bei uns Köchen muss es zu einem Umdenken kommen. Das wird nicht von heute auf morgen klappen, aber wird sollten jetzt damit beginnen.“
Dazu gehört auch ein Umgang mit den Mitarbeitern, die auf Wertschätzung des Einzelnen und der Förderungen der individuellen Stärken basiert. Das Rund-um-Sorglos-Paket für das Küchenteam beinhaltet daher neben der Bereitstellung der kompletten Berufskleidung und Arbeitsutensilien wie Messer etc. Auch ein eigenes Fitness-Studio im Haus und regelmäßige Schulungen und Fortbildungen. Dazu kommen die attraktiven Arbeitszeiten von 6.30 Uhr bis 15.30 Uhr im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche von Montag bis Freitag. „Die Arbeitszeiten in der Gastronomie mit Teildienst und Wochenendschichten sind für das Familienleben eine Katastrophe“, sagt Stefan Köglmeier, „als junger Mensch kann man das eine Zeit lang machen, aber irgendwann muss Schluss damit sein.“
Für seine Köche ist es unheimlich motivierend, dass sie nicht Woche für Woche das gleiche Programm abspulen müssen – mit ein Hauptgrund, warum die Fluktuation im Team extrem niedrig ist. „Die Arbeit ist meiner Ansicht nach sogar spannender als in Restaurants, wo man im Prinzip bis auf die Gerichte auf der Tageskarte auch immer das gleiche kocht.“ Wenn jemand beispielsweise aus dem Urlaub eine Rezeptidee mitbringt, wird versucht, sie umzusetzen. Nur ein Beispiel von vielen ist der Cronut, eine Kombination aus Croissant und Donut mit einer Sahnefüllung. Erfinder ist der New Yorker Konditor Dominique Ansel, vor dessen Bakery die Leute seit Jahren tagtäglich geduldig Schlange stehen. Der Cronut von Stefan Köglmeier und seinem Team ist so gut und begehrt, dass sogar die Brainlab-Mitarbeiter aus New York begeistert sind.“
Zum Schluss die Frage: Hat Stefan Köglmeier nicht ab und zu Sehnsucht nach der klassischen Gastronomie? „Nein, überhaupt nicht, und das gilt auch für meine Köchinnen und Köche. Was wir hier tun, ist zudem ein Weg, um unseren Beruf für den Nachwuchs generell wieder attraktiver und interessanter zu machen. Viele junge Leute finden den Kochberuf eigentlich obercool, haben aber keine Lust auf die vielen damit verbundenen Nachteile. Das hat nichts mit Bequemlichkeit oder Faulheit zu tun: Ich kann verstehen, wenn heute niemand mehr am Wochenende und nachts für viel zu wenig Geld in der Gastronomie schuften will.“
Text: Jörg Michael Ehrlich
Fotos: © Brainlab, Gunnar Menz (Portraits Stefan Köglmeier)