Oliver Speh
„Kein Ende des Fachkräftemangels“
Was macht Corona mit dem Arbeitsmarkt für Köche*innen? Antworten von Headhunter Oliver Speh, Inhaber von haystax Executive Recruitment Mülheim/Ruhr
Oliver Speh, gelernter Restaurantfachmann und einst F&B-Manager, gründete 2016 das haystax Büro in Mülheim/Ruhr
Im Zuge der Corona-Pandemie schließen renommierte Hotels, Restaurants reduzieren ihr Angebot, Caterer haben keine Aufträge mehr und müssen Kurzarbeit machen bzw. Mitarbeiter*innen entlassen. Entspannt sich damit der Fachkräftemangel im Gastgewerbe, weil sich die vorhandenen Kräfte nun auf weniger Betriebe verteilen? Oder bleibt der Branche das Thema erhalten?
Speh: Der Fachkräftemangel existert nach wie vor, und ich glaube sogar, dass er sich noch verschlimmern wird. Nur ein Beispiel: Der Commis oder Demi Chef, der eigentlich dachte, dass er nie Probleme haben wird, einen Job zu finden, sitzt jetzt in Kurzarbeit zuhause, hat Langeweile und kommt hinten und vorne nicht aus mit seinem Geld. Einige werden sich nun umorientieren und in andere oder benachbarte Branchen abwandern. Sie gehen im schlimmsten Fall der Branche für immer verloren. Auch weil sie feststellen, dass sie in den anderen, selbst verwandten Branchen ähnlich oder gar besser bezahlt werden, die Arbeitszeiten stimmen und zudem die Dienstpläne viel berechenbarer sind.
Wenn ich aber gerne in der Gastronomie arbeite, mit meinem Job eigentlich zufrieden bin, in meinem Stadthotel jedoch gerade nichts läuft – macht es da nicht Sinn, einfach zu kündigen und dorthin zu gehen, wo aktuell händeringend Mitarbeiter*innen gesucht werden?
Speh: Das Geschäft in den Städten läuft immer noch nicht richtig an, während die Gastronomie und Hotellerie in den Ferienregionen wie Nord- und Ostsee, Bayern oder Bodensee händeringend Leute sucht. Es gibt mit Sicherheit die eine oder andere verfügbare Fachkraft, nur ist sie oft nicht am richtigen Ort und meist auch nicht bereit, dorthin zu gehen. Die Umzugsbereitschaft von Arbeitnehmern ist seit langem schon gering, nicht erst seit Corona. Dies hängt auch mit der prekären Situation auf dem Wohnungsmarkt zusammen. Wer zum Beispiel in Frankfurt am Main eine halbwegs bezahlbare Wohnung hat, überlegt sich gut, ob er nicht mit seinem Kurzarbeitergeld oder vielleicht auch Arbeitslosengeld im Falle einer Hotelschließung irgendwie zurechtkommt. Er versucht Ruhe zu bewahren, bis sich die Situation wieder entspannt und er vor Ort wieder einen Job findet bzw. in Vollzeit weiterarbeiten kann. Solange der finanzielle Druck nicht wirklich groß genug ist, werden viele Fachkräfte einfach abwarten – frei nach dem Motto: „Es muss doch wieder besser werden!“
„Ich bin überrascht, wer sich alles allein in den letzten paar Wochen bei uns als „wechselwillig/jobsuchend“ gemeldet hat.“
Oliver Speh, haystax Executive Recruitment (Mülheim/Ruhr)
Wie gehen Unternehmen und Chefs mit der aktuellen Situation um?
Speh: Die Chefs machen sich natürlich große Sorgen, wie sie es schaffen, ihr Team bei der Stange zu halten, um dann, wenn es doch wieder läuft, handlungsfähig zu sein. Je länger so ein Ausnahmezustand anhält, also je länger z.B. geschlossen ist oder die Kurzarbeit andauert, desto größer ist die Gefahr, dass sich das Team auflöst. Es gibt ja keinen Zusammenhalt mehr wie früher, als man zehn Stunden am Tag zusammen war. Jetzt telefoniert man mal, oder es gibt eine Whatsapp-Gruppe, in der der Chef über die Entwicklungen informiert, aber der tagtägliche Austausch fehlt. Da kommt es schon vor, dass der eine oder andere die emotionale Bindung verliert und sich umorientiert.
Wandern Köche*innen, die bislang in Gastronomie und Hotellerie zuhause waren, jetzt nicht auch vermehrt in die jobsicherere, weil systemrelevante Klinik- und Sozialverpflegung bzw. Kantine ab?
Speh: Es denken jetzt sicher viele darüber nach. Jeder, der jetzt mit der Idee spielt, raus aus der Gastronomie/Hotellerie und hinein in die Betriebs- oder Sozialverpflegung zu gehen, muss sich darüber im klaren sein, dass er sich in eine völlig andere Welt begibt. Wer Abwechslung und einen gewissen Glamour braucht, wird nicht lange beispielsweise in der Klinikküche bleiben.
Wie wirken sich die Folgen der Pandemie auf die Gehälter in der Branche aus? Bezahlen die Betriebe nun weniger, weil sie weniger Umsatz machen bzw. müssen sich gute Köche*innen jetzt unter Wert verkaufen?
Speh: Vor Corona gab bei diesem Thema ja schon länger der potenzielle Arbeitnehmer/Bewerber die Richtung vor. Da wurden teilweise Gehälter gefordert, die weit jenseits des Möglichen und Machbaren lagen. Es war höchste Zeit, dass es bei diesem Thema zu einer Wende kam und sich beide Parteien wieder auf Augenhöhe begegnen. Gerade in der aktuellen Situation mit ungewisser Prognose für die Zukunft sollten sich beide Parteien um eine gute Partnerschaft und vernünftige Lösungen bemühen, sowohl bei den Forderungen als auch beim Angebot. Ich kann mir vorstellen, dass in einigen Bereichen die Gehälter vielleicht sogar sinken. Außerdem bin ich der Meinung, dass die Diskussion ums Geld meist zu überhitzt geführt wurde und oft nur nach dem Motto: Wenn die Branche ordentlich bezahlt, bekommt sie auch die Leute, die sie braucht.
Aber ist es nicht so, dass viele Fachkräfte die Branche verlassen haben, weil sie einfach mit der verhältnismäßig schlechten Bezahlung ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten konnten?
Speh: Die vermeintlich zu niedrigen Gehälter waren selten allein das Problem. Es gilt doch immer, nicht nur die Bezahlung, sondern das Gesamtpaket zu sehen. Ich rate Bewerbern*innen, sich klar zu werden, ob sie mit dem, was sie machen wollen, glücklich werden und ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Wichtig ist, dass das Betriebsklima stimmt, dass sie fair behandelt werden, und der Arbeitsplatz sicher ist. Das gilt gerade auch in der aktuellen Situation.
Wie geht es weiter mit dem Thema Fachkräfte in der Corona-Krise?
Speh: Auf jeden Fall sehr dynamisch. Ich bin überrascht, wer sich alles allein in den letzten paar Wochen bei uns als „wechselwillig/jobsuchend“ gemeldet hat – viele davon waren in den letzten zehn Jahren nicht ansprechbar für Veränderungen.
Interview: Sabine Romeis
Foto: © Haystax