Gewaltige Herausforderungen

Quo vadis, Großküchenhandel?

Digitalisierung, Konzentrationstendenzen und eCommerce: Der deutsche Fachhandel für Großküchentechnik steht vor gewaltigen Herausforderungen und muss sich neu erfinden. Die Zukunft gehört Händlern, die als dienstleistungsorientierte IT-Unternehmen mit angeschlossen Abteilungen für Consulting, Planung, Objekteinrichtung, Architektur, Montage und Service agieren

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Ein Küchenchef geht durch seine neue Küche. Er zieht Schubladen aus dem Kühltisch, wirft einen Blick in die Kühlhäuser und checkt die Anordnung von Induktionskochfeldern, Griddleplatte und Salamander. Mit seinem Küchenplaner bespricht er Änderungen und nimmt nach Ende des virtuellen Rundgangs zufrieden seine Virtual-Reality-Brille ab. Sie ermöglichte ihm den Blick in seine zukünftige Küche, die bis dato nur im Computer eines Großhändlers existiert.

Schöne neue Welt? Mitnichten. „Die neuen Online-Tools sind richtig gut, und ich sehe für die Zukunft keine unüberwindbaren Hürden, die verhindern, dass Gastronomen sich ihre Küchen demnächst selber planen können“, sagt Louis Solms, Chef des Großküchenhändlers Steuer mit Hauptsitz in Husum und einer Niederlassung auf Sylt. „Ikea bietet schon jetzt in seinem Online-Shop ein Programm an, mit dem jeder Laie am PC seine Wunschküche inklusive Geräten und notwendigen Anschlüssen in 3-D planen kann.“ Louis Solms hat das in Schleswig-Holstein bekannte Unternehmen Steuer erst Anfang des Jahres übernommen und zählt zu den jüngsten Großküchenhändlern in Deutschland. Sein Vorteil: Als Quereinsteiger – er kommt ursprünglich aus dem Lebensmitteleinzelhandel – hat er eine völlig unverbaute Sicht auf eine Branche, die – glaubt man Kritikern – Gefahr läuft, den Anschluss zu verlieren.

Das liegt unter anderem auch daran, dass es bei schätzungsweise 50 Prozent der Großhändler bis dato keine geregelte Nachfolge gibt. Viele Chefs sind zwischen 60 und 75 Jahren. Das betrifft nicht etwa nur die kleinen Player, auch in schätzungsweise jedem zweiten Unternehmen aus den Top-25 wurde der Generationswechsel verschlafen. Inwieweit diese Unternehmen auf Herausforderungen wie Digitalisierung, verändertes Einkaufsverhalten, Vernetzung oder Cloud-Lösungen reagieren können, bleibt dahingestellt.

Insider schätzen, dass etwa ein Drittel der Fachhändler die Zeichen der Zeit erkannt haben und darauf aktiv reagieren. Ein weiteres Drittel ist sich der Herausforderungen bewusst, es fehlt allerdings an finanziellen Möglichkeiten und Manpower, um Veränderungen anzustoßen. Sehr oft handelt es sich dabei um mittelgroße Betriebe mit 10 bis 20 Mitarbeitern – sie sind zum Sterben zu groß und zum Leben zu klein. Das letzte Drittel der Fachhändler verharrt noch voll in der 80er-Jahre-Denke und läuft massiv Gefahr, in den nächsten Jahren vom Markt gefegt zu werden. Interessanterweise haben Kleinbetriebe mit bis zu 8 Mitarbeitern nach wie vor eine Zukunft, da sie sich durch Service, Reparaturen, kurze Wege, persönliche Kontakte und ihre Nähe zum Kunden behaupten können.

„Ich bin überzeugt, dass es in den nächsten Jahren zu einer weiteren Konzentration auf Seiten der Hersteller und des Fachhandels kommen wird“, sagt Louis Solms. „Bei vielen Firmen, auch bei einigen großen, ist die Nachfolge nicht klar geregelt. Da momentan genug Geld auf den Finanzmärkten verfügbar ist, könnte ich mir vorstellen, dass Finanzinvestoren sich demnächst attraktive Pakete zusammenstellen und dann die Karten neu gemischt werden.“ Früher galt ein Unternehmen mit einem Umsatz von 50 Mio. Euro als interessant für Investoren, heute liegt die Schwelle bereits bei rund 20 Mio. Euro Jahresumsatz. Bisher schützte der vergleichsweise niedrige Umsatz von „nur“ 1,5 Mrd. Euro die Küchengroßhandels-Branche vor Investoren und neuen Playern. Doch da inzwischen alle maßgeblichen Branchen von finanzstarken Beratern, Bankern und Consultern abgegrast wurden, geraten jetzt auch die „Kleinen“ ins Visier.

Nicht völlig abwegig ist zudem das Szenario, dass die Hersteller von Großküchentechnik, die zu den Vorreitern bei der Digitalisierung der Küche zählen, sich mittelfristig andere, kompetentere Partner für die Realisierung ihrer Visionen suchen. Schon jetzt sieht es so aus, dass in wenigen Jahren Unternehmen im Bereich der Digitalisierung der Großküche unterwegs sein werden, die bisher noch niemand auf dem Schirm hat. Sie könnten mit  ihren neuen Plattformen für Beratung, Verkauf, HACCP-Dokumentation, Service, Wartung und Überwachung eines Tages richtig viel Geld verdienen. Wer hätte sich vor zehn Jahren vorstellen können, dass eines Tages der Großteil der Hotelbuchungen weltweit über Portale wie booking.com laufen würde? Vergleichbares könnte im Zuge der Digitalisierung dem Großküchenhandel bevorstehen.

Vorbei sind die Zeiten, in denen sich die Kunden vorzugsweise in den großen Showrooms der regionalen Großhandelsfürsten über Technik, Ausstattung und Tischkultur informierten. Natürlich gibt es auch heute noch eine Vielzahl von kleinen Hotels, Gasthöfen und Restaurants, für deren Chefs diese Art des Einkaufs nach wie wichtig und richtig ist. Doch die wirklich wichtigen Player (und Kunden) sind heute Systemer, Caterer, Bäckereiketten, Coffeebar-Betreiber oder auch Mineralöl- und Handelskonzerne wie Aral/BP, Rewe oder Edeka, die Gastronomie als neue Spielweise für sich entdeckt haben und nicht nur völlig andere Einkaufsstrukturen haben, sondern auch einen anderen Preisanspruch. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es schon heute nur wenige Großküchenhändler, die die Erwartungen solcher Kunden hinsichtlich Consulting, Planung, Montage, Service und Wartung erfüllen können. Logische Konsequenz: Sie wenden sich bei Großaufträgen vermehrt direkt an die Hersteller von Großküchentechnik, und der klassische Handel schaut in die Röhre. Nicht zuletzt aufgrund dieser Entwicklung erlebt der Direktvertrieb nach Jahren des Schrumpfens derzeit weltweit ein Comeback.

Trotz generell positiver Entwicklung ist der Großküchenmarkt von einem Margenverfall geprägt. Was die Kunden freut, führt fast zwangsläufig zu einem Investitions- und Innnovationsstau auf Seiten des Handels. Grund ist die hohe Wettbewerbssituation der Fachhändler, die – wie es ein Insider formuliert – „ihren Mitbewerbern nicht das Schwarze unter den Fingernägel gönnen“.

Wer als Großküchenhändler auch in Zukunft im Markt bestehen will, ist gut beraten, sich auf wenige starke Marken konzentrieren. Mehr denn je verlassen sich Kunden auf Marken, die Sicherheit, Orientierung und Vertrauen bieten. Wer als Fachhändler beispielsweise bei Spültechnik mehr als zwei Marken im Programm hat, läuft Gefahr, sich zu verzetteln. Je mehr Marken er anbietet, desto größer ist der Aufwand für die Schulung der Servicetechniker und die Anzahl der vorzuhaltenden Ersatzteile.

Viele Großküchenhändler sind immer noch der Meinung, dass der Online-Handel ihre Branche aufgrund des hohen Beratungs- und Servicebedarf für technische Artikel verschonen wird. Eine Fehleinschätzung: Schon jetzt verzeichnet der Großküchenhandel bei steckerfertiger Küchentechnik wie Kühlschränken, Mixern oder Mikrowellen massive Einbußen. Lediglich bei beratungsintensiven Produkten wie Spültechnik, Heißluftdämpfer oder auch Herdtechnik, die zudem vor Ort angeschlossen werden müssen, sind die Online-Umsätze seit einigen Jahren wieder rückläufig.

„Natürlich gibt es auch immer wieder Kunden, die sich in unserem Geschäft beraten lassen, um später doch online zu kaufen“, sagt Lars Schänzer, Chef des Großküchenhändlers gastroideen in Buchholz bei Hamburg. „Die sehe ich in der Regel nur einmal in unserem Austellungsraum.“ Je beratungs- und serviceintensiver ein Produkt ist, desto seltener wird es nach Erfahrungen von Lars Schänzer online gehandelt. „Pütt und Pan sind prädestiniert für den Online-Handel, in dem wir auch mit einem Shop aktiv sind, während technische Geräte wie Heißluftdämpfer, Herdtechnik oder Spülmaschinen meiner Meinung nach online keine Zukunft haben. Das bestätigen uns auch Hersteller.“  Diese Entwicklung bedeutet aber nicht zwingend mehr Umsatz bei Großküchenhändlern.

In vielen europäischen Ländern (z.B. Italien, Frankreich, Spanien) gibt es keine vergleichbare Großhandelsbranche wie in Deutschland. Dort wurden Produkte wie Spülmaschinen oder Herdanlagen schon immer von einigen wenigen Großhändlern ab Lager ausgeliefert, um im nächsten Schritt von spezialisierten Subunternehmern bei den Kunden montiert und gewartet zu werden. Daher ist es nicht abwegig, dass in Zukunft beispielsweise Spülmaschinen unter Umgehung des Fachhandels an Systemer & Co. ausgeliefert werden und dort von auf Montage und Wartung spezialisierten Unternehmen angeschlossen werden. Noch gibt es diese neuen Player nicht, aber in den Szenarien der meisten Hersteller wird zumindest darüber gesprochen und nachgedacht.

Die Stärke des deutschen Fachhandels besteht darin, dass er in einer Region nicht nur Geräte sachgemäß- und fachgerecht installieren kann, sondern auch einen exzellenten Kontakt zu seinen Kunden pflegt. Um sich für die Zukunft zu wappnen, ist es für den Handel existenziell wichtig, diesen Vorteil zu nutzen, auszubauen und an die aktuellen Anforderungen anzupassen. Dabei muss der Handel aufpassen, dass er nicht nur die Erwartungen seiner Kunden erfüllt, sondern auch die der Hersteller, die auf starke und kompetente Partner angewiesen sind, damit Service und Dienstleistung für ihre Produkte stimmen. Vereinzelt gibt es schon jetzt Signale von Herstellerseite, dass sie mit der Leistung und Kompetenz einiger Händler nicht mehr zufrieden sind und deren Zukunftsfähigkeit anzweifeln.

Die veränderten Rahmen- und Marktbedingungen erfordern, dass Fachhändler künftig vermehrt IT-Profis einstellen, die sich mit Netzwerken, Cloudlösungen oder auch Firewalls auskennen. Monteure, Elektriker und Klimatechniker werden zwar weiterhin für Montage und Wartung gebraucht, aber die Richtung werden zukünftig andere vorgeben. Marc Andreessen, der Mitgründer des Software-Herstellers Netscape, hat schon vor Jahren prophezeit, dass sich in naher Zukunft alle Unternehmen zu IT-Firmen wandeln – das gilt mehr oder weniger auch für den Großküchenhändler der Zukunft

Text: Jörg-Michael Ehrlich
Foto: © Adobe Stock