Agnes Karrasch

Eine Köchin als Kinostar

Agnes Karrasch ist Kochweltmeisterin und in der Sterneküche zuhause. Ein Filmteam begleitete sie auf ihrem Weg durch einige der besten Restaurants Europas. Die Doku „She Chef“, die jetzt in die Kinos kommt, zeigt ungeschminkt, wie sie sich in der Männerdomäne Profiküche etabliert hat

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„Ich bin eine Produktionsmaschine“, sagt Agnes Karrasch über sich. „Während meiner Ausbildung im Steirereck in Wien hat man mir gesagt: Wenn du hier raus gehst, wirst du schneller sein als alle anderen. Und das stimmt auch.“ Heute, sieben Jahre später, ist die gebürtige Oberbayerin Sous Chefin im Restaurant Koks auf dem Färöer Inseln und hat mit ihren 30 Jahren bereits einen aufregenden Weg hinter sich: Abitur, Studium „Travel & Tourism Management“ in England, Tourismusschule in Innsbruck, Kochausbildung in Wien, Weltmeistertitel mit dem österreichischen Jugendnationalteam bei der Expogast 2018 in Luxemburg. Nach der Ausbildung, mit 23, begab sie sich auf eine spannende Reise, um von den besten Köchen zu lernen und ihre eigene Küchen-Philosophie zu entwickeln. „Ich wollte maximale Kontraste sehen habe mir meine folgenden Stationen ganz bewusst ausgesucht“, sagt Angnes Karrasch. Namhafte Betriebe wie Vendôme (Bergisch Gladbach), Disfrutar (Barcelona) und Koks (Faröer Inseln) stehen in ihrem weiteren Lebenslauf, und ohne die Pandemie wären es sicher noch mehr geworden.

Aktuell ist Agnes Karrasch weiterhin auf den Faröer Inseln tätig und bereitet mit einem kleinen Team um Küchenchef Poul Andreas Ziskas die Wiedereröffnung des Koks an einem neuen Standort vor. „Im Koks wird es nicht thematisiert, dass ich eine Frau bin“, antwortet Agnes Karrasch auf die Frage, wie sie als Frau in der Männerdomäne Profiküche zurechtkommt. Ihren Weg als Profiköchin mit seinen Höhen und Tiefen dokumentiert nun ein Film, der am 18. Mai in die deutschen Kinos kommt. She Chef ist der Titel, eine Anspielung auf das „Oui Chef!“ in der klassischen französischen Küchensprache.

Köchin und Kinostar? Für Agnes Karrasch fühlt sich das Ganze trotz langer Drehzeit immer noch ein wenig fremd an. Sie ist jedoch schon sehr gespannt, wie die Reaktionen der Kinobesucher*innen sein werden. Sie versteht den Film als Statement und Argumentationshilfe besonders für junge Leute, die ihre Eltern von ihrer Berufswahl Koch/Köchin überzeugen wollen. Auch Agnes Karrasch erntete bei ihrer Familie zunächst eher Unverständnis, als sie ihre Entscheidung, Köchin zu werden, bekanntgab. Der Film soll helfen, Vorurteile abzubauen, den Nachwuchs inspirieren und zeigen: So geil ist das in der Küche! chefs! sprach vor dem Kinostart von She Chef mit Agnes Karrasch.

Wolltest Du eigentlich schon immer Köchin werden?

Karrasch: Als Teenager habe ich angefangen, ein gesteigertes Interesse am Kochen zu entwickeln, ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein. Statt einer neuen Handtasche wollte ich eine Pasta-Maschine. Nie aber kam mir der Gedanke, Köchin zu werden. Ich wollte irgendwas mit Tourismus machen, um möglichst viel reisen zu können, wenn ich denn dann doch mal arbeiten und Geld verdienen muss.

Wie bist Du trotzdem in den Beruf gekommen?

Karrasch: Ich studierte in England „Travel & Tourism Management“ und schrieb meine Bachelorarbeit über die „Slow Food Organisation“ von Carlo Petrini. Nebenbei verdiente ich mir über die Jahre als Aushilfsköchin oder mit privaten Feiern, die ich verpflegte, immer wieder etwas dazu. Dann hat mich mein Weg auf die Tourismusschule nach Innsbruck geführt, und schnell wurde klar, dass mich alles andere neben dem Kochunterricht eigentlich langweilt. Meine Kochlehrer waren schnell überzeugt, dass ich Köchin werden muss. Ich war endlich mal jemand, der Interesse an ihrem Fach hatte! Ich hatte aber nach wie vor nicht den Plan, mein Leben der Küche zu widmen. Jeglicher Gedanke in die Richtung wurde mit Argumenten wie „harter Umgangston“ und „schlechte Arbeitszeiten“ im Kern erstickt. Die Sterneküche machte auf mich einen versnobten Eindruck, und ewig Burger braten war auch nicht mein Lebensziel. Meine Kochlehrer empfahlen, dass ich mir ein eigenes Bild mache und mir Häuser wie das Steirereck in Wien anschaue. Irgendwann war ich überzeugt, dass ich genau dort hin muss, um den Beruf zu lernen.

Was verbindest du heute mit Sterneküche?

Karrasch: Sterneküche ist elitär, aber vor allem auch eine enorme Chance. Eine Chance, nachhaltig zu arbeiten, seltene, alte Produkte zu schützen und vor allem eine Chance, unfassbar kreativ und ausgefallen zu arbeiten.

Hast Du Dir Deinen Arbeitsplätze nach der Ausbildung gezielt ausgesucht, oder haben sich die Schritte eher zufällig ergeben?

Karrasch: Nein, das waren ganz bewusste Entscheidungen. Ich wollte nach der Ausbildung maximale Kontraste sehen, und mein Wunsch zu reisen und die Welt zu entdecken starb natürlich nicht mit dem Kochabschluss. Ganz im Gegenteil; ich hatte meinen Weg gefunden, meine Leidenschaften Reisen und Kochen mit einem Beruf zu verbinden. Ich machte Praktika bei Joachim Wissler im Vendôme, bei Oriol Castro und Eduard Xatruch im Disfrutar in Barcelona und bei Poul Andreas Ziskas im Restaurant Kokos auf dem Färöer Inseln. Danach wollte ich eigentlich Sous Chefin im neuen Restaurant von Dennis Melzer, ehemals Sous Chef im Vendôme, werden. Mit meinem Praktikum im Zwei-Sterne-Restaurant Koks wurde allerdings alles auf den Kopf gestellt. Ich hatte ein Team und einen Ort gefunden, der besonderer nicht hätte sein können. Fernab von Großstädten, mitten in der Natur. Mit dem Angebot, dort als Chef de Partie zu arbeiten, sagte ich jegliche Pläne in Berlin ab und beschloss, auf der Insel zu bleiben. Diese Entscheidung wird wohl auch andauern – das Restaurant bekommt einen neuen Standort, und ich finde es sehr reizvoll, am neuen Menü und der Wiedereröffnung als Sous Chefin mitarbeiten zu dürfen. Es fühlt sich für mich richtig an, diese Chance zu nutzen. Bis es mit der Eröffnung soweit ist, machen wir verschiedene Pop-ups.

Was treibt dich an?

Karrasch: Auch wenn es sehr dramatisch klingt, aber ein Leben ohne meine Kocherei hat für mich wenig Reiz. Egal, wo ich hinreise: Ein Land und seine Bewohner werden ja immer auch stark durch ihre Küche definiert. All diese Küchen zu entdecken und zu verstehen, macht immens viel Spaß.

Was ist dir mittlerweile bei der Arbeit am wichtigsten?

Karrasch: Was für mich mittlerweile stark im Mittelpunkt steht: ein gutes Team, ein respektvoller Umgang mit einander und eine positive Stimmung im Restaurant im Alltag. Ich verbringe so viele Stunden an meinem Arbeitsplatz, bin dafür sogar auf eine abgelegene Insel gezogen. Da ist es unabdingbar, den Job nicht nur als irgendeine Arbeit zum Geldverdienen zu sehen, sondern vielmehr als einen Ort, der mir und dem gesamten Team die Möglichkeit bietet, sich auszuleben und das zu präsentieren, was wir sind und uns als Team ausmacht.

Im Film „She Chef“ lernen wir Dich und die Teams, in denen Du bisher gearbeitet hast, näher kennen. Wie war es für Dich, vor der Kamera zu stehen?

Karrasch: Zunächst eigenartig. Ich fühlte mich vor der Kamera erst einmal unwohl. Aber zwischen den Regisseuren Melanie Liebheit und Gereon Wetzel und mir hat sich über die Zeit ein so krasses Vertrauen aufgebaut, dass ich es irgendwann einfach vergessen habe, dass sie dabei sind. Sie waren unauffällig, standen nie im Weg, lenkten mich nie von der Arbeit ab. Irgendwann nahm ich die Kamera nur mehr aus dem Augenwinkel wahr. Immer, wenn ich mit meiner kleinen Film-Entourage in ein neues Restaurant kam, hatte ich zunächst Angst, dass die KollegInnen das falsch verstehen, wenn die Neue gleich mit der Kamera auftaucht. Aber überall haben sie sofort verstanden, dass es um etwas anderes geht als anzugeben.

Die Sterneküche ist immer noch von Männern dominiert. Was könnte es Frauen erleichtern, sich durchzusetzen und gleiche Chancen zu haben?

Karrasch:Der Ausgangspunkt ist der Umgang miteinander. Schwierig wird es, wenn die Kollegen ein Männerbild in die Küche tragen, das man toxisch nennt. Unter dem großen Druck, der herrscht, wird es dann oft unangenehm bis unangemessen. Dazu kommt: Viele Frauen haben das Bild, dass sie bestimmte Sachen einfach nicht so gut können, stark verinnerlicht. Man kann als Mann und Frau trotzdem zusammen arbeiten und sich helfen, aber dafür muss man eine gewisse Reflexion über das eigene Verhalten mitbringen. Zum Glück kommen jetzt junge Küchenchefs nach, die ein größeres Bewusstsein für Genderfragen mitbringen. Dadurch ändert sich in den Küchen einiges zum Positiven.

SHE CHEF
von Melanie Liebheit & Gereon Wetzel

Österreich, Deutschland 2022,
Dokumentarfilm, 105 Minuten, Start: 18.5.2023

Interview: Sabine Romeis