Branche & Kommunikation

Endlich näher am Nachwuchs!

Studierende der Hochschule Hannover im Studiengang PR entwickelten Kommunikationsstrategien, die Jugendlichen das Potenzial der Ausbildungsberufe in der Gastronomie verdeutlichen und ihre Leidenschaft für dieses Berufsleben entfachen sollen

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Die Themen Nachwuchsmangel und Branchenimage beschäftigen Gastronomie & Hotellerie seit Jahren und haben sich im Zuge der Pandemie dramatisch zuspitzt. Verbände, Unternehmen und Arbeitgeber haben es bis heute weitgehend versäumt, mit wirklich spannenden und effektiven Kommunikationsstrategien auf die Herausforderungen der Zukunft zu reagieren. Bis auf einzelne, meist private Vorzeige-Initiativen beschränken sich die bisherigen PR-Maßnahmen auf altbackene Flyer, eher langweilige Plakataktionen und Info-Veranstaltungen oder Anzeigenkampagnen, die den Nachwuchs jedoch wenig bis gar nicht ansprechen. Statt Jugendlichen die Chancen und Perspektiven der „schönsten Berufe der Welt“ aufzuzeigen, droht das Image und damit die Zukunft einer ganzen Branche zu erodieren. Ergebnis: Immer weniger junge Menschen interessieren sich für Berufe wie Koch/Köchin, Restaurantfachmann/-frau oder Hotelkaufmann/-frau.

Eine beängstigende Situation, aber was tun? Das fragte sich auch der Journalist und Autor Hannes Finkbeiner, der ehemals an der Hochschule Hannover Journalistik studiert hat und heute dort neben seiner journalistischen Tätigkeit als Dozent in den Studiengängen Journalismus und Public Relations unterrichtet. Er schreibt in unterschiedlichen Medien – darunter auch chefs! – über die Hotel- und Gastronomiebranche und entwickelte die Idee einer Lernagentur. Unterstützung für seine Idee, Studierende neue, effektive Kommunikationsstrategien für die gastgewerbliche Branche entwickeln zu lassen, erhielt er von den Professorinnen Dr. Ulrike Buchholz und Dipl.-Designerin Gabriele Kunkel. Sie forcierten und realisierten das Projekt gemeinsam mit Studierenden des zweiten und sechsten Semesters im Studiengang PR an der Hochschule Hannover. Dabei entstanden drei Kommunikationsstrategien, die Jugendlichen das Potenzial der gastgewerblichen Ausbildungsberufe verdeutlichen und ihre Leidenschaft für die Berufe in Gastro & Co. entfachen sollen. chefs! unterstützte das spannende Projekt in der Jury und als Medienpartner. Fazit von chefs! Redakteur Jörg-Michael Ehrlich: „Die Konzepte dürfen jetzt nicht in Schubladen verschwinden, sondern sollten – zumindest teilweise – in die Praxis umgesetzt werden!“

„Die Konzepte dürfen jetzt nicht in Schubladen verschwinden, sondern sollten – zumindest teilweise – in die Praxis umgesetzt werden!“

Jörg-Michael Ehrlich, chefs!-Redakteur und Jurymitglied

Am Anfang des Projekts „Lernagentur“ stand ein ausführliches Briefing, bevor sich die Teams als PR-(Lern)Agenturen an die Arbeit machten und, jedes für sich, ein Konzept erstellten, mit dem sie sich später gegenüber einer Jury wie in einem klassischen Pitch behaupten mussten. Noch ein wichtiger Unterschied zur Realität im Agenturalltag: Es gab keine finanziellen Budgetgrenzen, um die Kreativität der Teams nicht einzugrenzen.

Die Vorgehensweise der Studierenden-Teams war indes höchst professionell. Sie starteten mit einer Analyse der Ist-Situation in der Branche, auf Basis derer sie dann ihre Kommunikationsstrategien erstellten. Mithilfe bewährter Analyse-Methoden wie SWOT (Stärken, Schwächen, Chancen, Schwächen/Risiken), GAP (Soll-Ist-Analyse) oder Step (technische, wirtschaftliche und politische Einflüsse) wurden die Problemfelder identifiziert, benannt und konkretisiert. Im nächsten Schritt sammelten die angehenden PR-Profis mit einer TOWS-Matrix Ideen, um darauf aufbauend Strategien und Maßnahmen für die jeweiligen Problemfelder zu entwickeln.

Selbstbild der Branche entspricht nicht dem Fremdbild

In dieser aufwändigen Analysephase kristallisierte sich sehr schnell das Kernproblem heraus: Das Selbstbild der Branche entspricht bei weitem nicht dem Fremdbild. Soll heißen: Die gastgewerbliche Branche hält sich für die beste, schönste und interessanteste der Welt, während bei Außenstehenden – Jugendlichen, Eltern, Medien – vor allem negative Assoziationen wie schlechte Bezahlung, hohe psychische und physische Belastung, antiquierte Arbeitszeitmodelle und schlechte Umgangsformen der Vorgesetzten geweckt werden.

Die Studierenden folgerten: Die Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung, deren Ursache auch in der fehlenden Bereitschaft der Branche zur Selbstreflexion liegt, verschärft sich aktuell durch die unprofessionelle bzw.  nahezu fehlende Kommunikation des Hotel- und Gaststättengewerbes. Von Krisenmanagement keine Spur. Statt mit Transparenz und Offenheit unangenehme Themen wie lange Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung oder fehlende Perspektiven im Alter anzugehen, wird gejammert, die Schuld bei anderen gesucht oder der Ernst der Lage schöngeredet. Eine weitere Erkenntnis der Studierenden: Die bisherigen Kommunikationskanäle waren weitgehend ungeeignet, um die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie heute erreichbar und ansprechbar sind: in Schulen, in Clubs, auf Festivals, Konzerten, Events, auf Publikumsmessen wie der Gamescom – und vor allem aber in den Sozialen Medien.

Die Lernagentur imPRove Agency kommt unter anderem zu diesem wenig erbaulichen Schluss: „Es existieren kaum richtige Stellenausschreibungen und die vorhanden sind nur als sehr schwach zu bewerten, da unter anderem die Benefits einer Ausbildung nicht ausreichend thematisiert werden. Mit der zu geringen Internetpräsenz werden vor allem junge Menschen nicht direkt angesprochen. Die Branche passt sich somit zu langsam an die junge Generation an. Insgesamt werden durch die bisherige Kommunikation die Vorteile und Chancen, welche die Branche zu bieten hat, nicht deutlich genug vermittelt. Dadurch entsteht eine negative Wahrnehmung in der Branche.“

Unkonventionelle Aktionen = Guerilla-Marketing

In ihren Kommunikationstrategien haben die Studierenden eine Vielzahl von Maßnahmen entwickelt. Die Ideensammlung umfasst beispielsweise bundesweite Roadshows mit Foodtrucks, Koch-Events mit bekannten Influencern an Schulen, Info-Container an zentralen Plätzen in Großstädten, Imagefilme für Kinos und Websites, Plakataktionen oder auch unkonventionelle Aktionen aus dem Bereich Guerilla-Marketing. Unter Guerilla-Marketing versteht man Kommunikationsstrategien, die von Überraschungseffekten leben. Dabei werden kreative Ideen frech, provozierend und unkonventionell inszeniert, um die Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken. Aktionsbündnisse wie Fridays for Future, Food Watch oder Greenpeace nutzen Guerilla-Marketing schon seit Jahren intensiv, um für Schlagzeilen zu sorgen und ihre Werbebotschaft in den Social Media-Kanälen viral zu verbreiten. Die gastgewerbliche Branche hat hier in der Vergangenheit viel zu brav agiert, statt selbstbewusst und entschlossen auf die Pauke zu hauen. Das Team der im PRove Agency schlägt beispielsweise vor, bundesweit Statuen von bekannten Dichtern oder anderen Persönlichkeiten Kochmützen aufzusetzen, um so in der Öffentlichkeit und bei Medienvertretern Aufmerksamkeit für das Thema Fachkräftemangel zu bekommen.

Nachholbedarf beim Thema Social Media

Nachholbedarf sehen die Studierenden vor allem beim Thema Social Media. Laut ihrer Analysen nutzen einzelne Unternehmen zwar Kanäle wie Facebook, Instagram oder TikTok, doch die Accounts sind häufig inaktiv bzw. bieten viel zu selten frischen Content. Fazit: Da der Erfolg von Social Media (vor allem die bei jungen Leuten angesagten Medien Instagram und TikTok) auf Aktualität und ständiger Aktivität basiert, darf die Aktualisierung der Inhalte nicht nebenbei erfolgen. Social Media muss als Schlüsselposition verstanden werden und von zumindest einer Person (oder besser einem Team) permanent mit Posts gefüttert werden, um interessant zu bleiben.

Die Studierenden haben in ihren Konzepten hervorragende Vorschläge gemacht, wie Social Media-Kanäle mit all ihren Möglichkeiten – u.a. Podcasts, Apps, Vlogs, Blogs, Spotify, You Tube oder Stellenbörsen – vernetzt und abgestimmt auf das jeweilige Medium bespielt werden sollten. Hintergrund: Das Informationsverhalten junger Menschen unterscheidet sich dramatisch von dem der Vorgängergenerationen. Informationen müssen schnell, informativ, aktuell, anschaulich, transparent und ansprechend bereitgestellt werden.

Via App zum Ausbildungsbetrieb

Das wichtigste Tool zur Informationsbeschaffung ist das Handy. Daher hat die Lernagentur PR jct mit „bookd“ ein Konzept für eine App entwickelt, die Jugendlichen das Abrufen von Informationen über potentielle Arbeitgeber und Ausbildungsbetriebe erleichtert. In Kurzvideos können sich Arbeitgeber*innen vorstellen oder Mitarbeitende aus Küche, Service und Rezeption über ihre Erfahrungen im Beruf mit allen Licht- und Schattenseiten berichten. Darüber hinaus verfügt die App über eine Bildergalerie, eine Chatfunktion mit dem Betrieb und eine Art Eignungstest zur Selbstüber-prüfung, für welchen Beruf in der gastgewerblichen Branche man überhaupt geeignet ist. Die App gibt zudem an, wie-viele Kilometer ein Betrieb von ihrer Wohnung entfernt ist. Auch der Bewerbungsprozess kann über die App einfach, schnell und unkompliziert erfolgen: Anschreiben, Berufswunsch, Foto, Lebenslauf und Zeugnisse hochladen – und mit einem Wisch auf den Button „Jetzt bewerben“ geht die Bewerbung an den Betrieb.

Die Kosten für Kommunikationsstrategien in der Qualität, wie sie die Studierenden in Hannover erarbeitet haben, beziffern die beiden Professorinnen Gabriele Kunkel und Ulrike Buchholz auf rund 15.000 Euro pro Konzept (ohne Umsetzung). Da in der realen Welt sich die Honorare auch nach der Qualität des „Entwerfers“, der Größe des Auftraggebers und der Reichweite des Konzepts richten, können die Kosten durchaus höher ausfallen.

Am Ende eigentlich fast nebensächlich, übrigens auch für die Studierenden: Den Pitch gewann die Lernagentur Served mit ihrem „Heart“-Projekt. Aber auch die beiden zweitplatzierten Konzepte enthalten so viele Ideen und wertvolle Ansatzpunkte für eine bessere Kommunikation der Branche, dass es angesichts der aktuellen Krise eine Schande wäre, wenn die Strategieentwürfe im Wert von fast 50.000 Euro ungenutzt blieben.

Tipp: Die kompletten Kommunikationskonzepte der Teams der Lernagentur 2022 sind – in Wort und Bild – nachzulesen in der Ausgabe 7-8/2022 von chefs!hier geht’s zur Bestellung!

AUF EINEN BLICK

Selbstbild contra Fremdbild

Was die Studierenden der Hochschule Hannover über die Gastro-Branche herausgefunden haben

GAP-Analyse

Ist-Zustand

  • Kommunikation geht an der Zielgruppe (Jugendliche) vorbei (z.B. falsche Plattformen)
  • Mangelnde Kommunikation über die verschiedenen Ausbildungsmöglichkeiten sowie Aufstiegschancen
  • Keine übersichtlichen Informationsmöglichkeiten über die einzelnen Ausbildungsberufe
  • Zu wenig Kommunikation über die inzwischen verbesserten Anpassungen zugunsten der Arbeitnehmer
  • Größtenteils veraltete Online-Präsenzen
  • Vermehrt negative Berichterstattung über Jobs und Arbeitsbedingungen in der Branche
  • Karrieremöglichkeiten im Ausland werden nicht ausreichend kommuniziert

Soll-Zustand

  • Mehr und ansprechendere Kommunikation (Jobbeschreibungen)
  • Ausbildungsinteressierte sollen Informationen einfacher erlangen sollen
  • Mehrwerte der Arbeitsbedingungen und Anpassungen zugunsten der Arbeitnehmer besser kommunizieren
  • Zeitgemäße Online-Präsenzen
  • Positives Image des Berufsbilds durch Medien herausstellen
  • Karrierechancen präsentieren und über Möglichkeiten aufklären

GAP (Gap = Lücke)

  • Kommunikation zielgruppengerecht nutzen
  • Informationen gesammelt und leichter zugänglich bereitstellen
  • Schwerpunkt der Kommunikation auf die Mehrwerte der Arbeitnehmer legen
  • Onlinepräsenz immer auf dem neuesten Stand halten (Inhalt und Gestaltung)
  • Zusammenarbeit mit Medien fördern (positive Berichterstattung)
  • deutlichere Kommunikation der Karrieremöglichkeiten (auch im Ausland)

Quelle: Lernagentur Served (2022)

SWOT-Analyse

S (Strenghts = Stärken)

  • Vielfältiges Arbeitsumfeld
  • Hohe Attraktivität durch gute Übernahmechancen
  • Traditionelle Handwerkstätigkeit (speziell Berufsbild Koch/Köchin)
  • Gute Einstiegschancen durch viele freie Stellen
  • Möglichkeiten zur staatlichen Förderung (u.A. Bafög für Azubis)
  • Gute Entwicklungsmöglichkeiten auf persönlicher und fachlicher Ebene

W (Weakness = Schwächen)

  • Unregelmäßige Arbeitszeiten und Überstunden
  • Unausgeglichenes Arbeitsverhältnis
  • Geringe Online-Präsenz
  • Viel zu langsame/geringe Anpassung an die Bedürfnisse der jungen Generation
  • Wenig Reputation aufgrund von häufig geringen Qualifikationsvoraussetzungen

O (Opportunities = Chancen & Möglichkeiten)

  • Großteil der Zielgruppe über neue Kommunikationswege erreichbar
  • Neue, verbesserte Ausbildungsinhalte ab Herbst 2022 (z.B. Ernährung, Digitalisierung, Nachhaltigkeit)
  • Interesse von Bewerbern an Corporate Benefits und Incentives
  • Umdenken im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen bei den Verantwortlichen

T (Threats = Bedrohungen)

  • Ängste durch Krisen und Katastrophen (Covid-19, Ukraine-Krieg)
  • Selbstverständnis/Undankbarkeit gegenüber der Branche
  • Fachkräftemangel durch zu geringe Anreize/fehlendes Interesse
  • Bessere Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Branche
  • Schlechtes Image bedingt durch Vorurteile (z.T. begründet) gegenüber dem Berufsfeld
  • Aktuelle Generation hat höhere Erwartungen hinsichtlich der Work-Life-Balance
  • Hohe körperliche und psychische Belastung mit hohem Risiko für ältere Mitarbeitende

Quelle: Lernagentur imPRove Agency (2022)

TOWS-Analyse

T (Threats = Bedrohungen)

  • Allgemein negatives Image der Branche
  • Einschränkungen der Geschäftstätigkeiten durch z.B. strenge Hygienekonzepte & Covid-Regularien
  • Kaum noch Fachpersonal auf dem Markt
  • Schulabsolvent*innen entscheiden sich eher für ein Studium als für Ausbildung

O (Opportunities = Chancen & Möglichkeiten)

  • Digitalisierung vereinfacht die Arbeitsprozesse
  • Über Social Media sind potentielle Zielgruppen leichter erreichbar
  • Gastgewerbe besitzt eine hohe wirtschaftliche, kulturelle und soziale Relevanz
  • Große Arbeitgeberauswahl/Auswahl nach Interessen

W (Weakness = Schwächen)

  • Niedrige Löhne, Mindestlohn
  • Hohe psychische und physische Belastung
  • Stress, Druck und stressige Arbeitsatmosphäre
  • Unflexible, antiquierte Arbeitszeitmodelle
  • Fehlende Work-Life-Balance
  • Schlechte Umgangsformen (der Vorgesetzten)
  • Starke spürbare Hierarchien

S  (Strenghts = Stärken)

  • Weiterbildungsmöglichkeiten
  • Interne Schulungen/Trainings
  • Arbeiten im Team/Teamfähigkeit wird groß geschrieben
  • Gute zwischenmenschliche Kommunikation und Vernetzung innerhalb der Branche
  • Freiraum für Kreativität und Eigenverantwortung

Quelle: Lernagentur PRjct (2022)