Tisane im Augustinerhof
Kochen ohne Grenzen
Im Tisane im Augustinerhof ist der Gast mittendrin im kulinarischen Geschehen. Möglich machts der U-förmige Tresen rund um die offene Küche – die perfekte Bühne für René Steins puristische Küche
Manchmal, sagt René Stein, müsse er sich immer noch kneifen, um zu begreifen, dass alles um ihn herum kein Traum ist, sondern Realität. Dass seine neue Wirkungsstätte – „mein zweites Zuhause“, wie er sie liebevoll nennt – ein kleines Gesamtkunstwerk geworden ist. Das hatte er nicht erwartet, als er nach dem Aus im Schwarzen Adler in Nürnberg-Kraftshof Ende 2020 eine neue Herausforderung suchte. Über einen gemeinsamen Bekannten kam er mit Jens Brockerhof zusammen, Inhaber der jb Company und damit Betreiber verschiedener Nürnberger Gastronomiekonzepte (z.B. Patisserie Tafelzier, Die Wirtschaft, Brasserie Nitz, Café Piqué Nicke…).
Kochen und die Gäste unterhalten
Die ersten Gespräche rund um eine kleine freie Location im Augustinerhof liefen noch unter dem Arbeitstitel Showküche. „Meine Idee war ein Chefs Table, eine Bühne, um das zu machen, was ich am liebsten tue: kochen und meine Gäste unterhalten“, erzählt René Stein. Ums Drumherum habe er sich gar keine großen Gedanken gemacht. „Ich dachte, ich kriege einen Herd, eine Theke und Stühle“, fährt er fort, „aber in Zusammenarbeit mit Jens Brockerhof, dem Innenarchitekt Slavis Poczebutas (Mekado) aus Berlin und all den kreativen Köpfen um uns herum, ist etwas ganz Besonderes gewachsen: das Tisane!“
Überhaupt, der Name: „Über Monate haben wir an der Namensfindung herumgedoktert“, erinnert sich René Stein. Als er dann während einer Telefonsession mit allen Beteiligten beiläufig in einer Aus-gabe des Kochkunstführers von Auguste Escoffier blätterte und Garnituren vorlas, war der Moment gekommen. „Der Begriff Tisane de Boeuf fiel, und allen war klar: Genau das ist es! Das ist es, was wir hier machen werden, was das Konzept meine Küche auszeichnet. Die Konzentration auf das Produkt und den Geschmack ist genau meine Art zu kochen.“
Genuss aufs Wichtigste reduziert
Tisane bezeichnet in der klassischen französischen Küche nach Escoffier einen Auszug, einen Tee, die Essenz von etwas. Ein Tisane de Boeuf ist eine klassische Beeftea. „Wir haben einfach den Zusatz de Boeuf weggelassen, denn das hätte uns zu sehr eingeschränkt“, sagt René Stein. Das Tisane ist kein vegetarisches Restaurant, aber auch keines, in dem sich alles um Fleisch dreht. Es ist ein Fine-Dining-Konzept, in dem Genuss und Gastgeben auf das Wichtigste reduziert werden: das Produkt, den Austausch und das Miteinander. Die Küche ist bekanntlich der kommunikativste, geselligste, emotionalste Ort eines jeden Zuhause – und das Herz des Tisane: „Wir möchten euch einladen, in unserer Küche Platz zu nehmen. Teil zu sein der Geschehnisse“, liest man weiter auf der Homepage des Restaurants. „Es gibt kein vor, kein hinter den Kulissen. Wir wollen euch mitnehmen in unser Geschehen, euch teilhaben lassen. Strukturen neu denken und Grenzen auflösen.“ Im Tisane geht es um den Fokus aufs Wesentliche, nicht auf Nebensächlichkeiten wie Anzug und weiße Tischdecken, sondern auf das Essen, die Stimmung, die Atmosphäre und das Zusammensein.
Der Raum selbst wird von einem schlichten und reduzierten, aber wertigen Ambiente geprägt. Dazu hören der geölte helle Dielenfußboden, die geputzen Betonwände und die Edelstahldecke mit dem lila angestrahlten Dunstabzug. Der eigentliche Eyecatcher ist aber die U-förmige Theke direkt um den Herd und die Arbeitsflächen der Köche. Hier können bis zu 20 Gäste Platz nehmen. Weitere Sitzplätze im Raum gibt es nicht. Die organisch geschwungenen Formen der von Philipp Eyrich (Nürnberg) designten und gebauten Theke finden sich ansatzweise auch in den Tellern und Schalen wieder. Sie wurden vom Künstler gemeinsam mit dem Team von Fil Ceramics in Leutershausen entworfen und fügen sich nahtlos ins Gesamtkunstwerk Tisane ein.
Nahe dran an Escoffiers Küche
Im raumhohen Regal (ebenfalls von Phillip Eyrich), das sowohl als Deko-Element als auch Abstellfläche für Gläser & Co. dient, liegt eine Ausgabe des Kochkunstführers von 1932, durch den das Restaurant zu seinem Namen kam. René Stein ist nahe dran an Escoffier. Die klassische französische Küche ist seine handwerkliche Basis. „Vor allem Soßenansätze, Glacés, Consommés, Veloutés machen wir noch sehr, sehr klassisch.“ Auf die Frage, was modern ist an seiner Küche im Tisane, denkt René Stein kurz nach. „Wir mischen ein paar Techniken“, sagt er dann. „Und ich weiß nicht, ob Escoffier damals schon Ananas gegrillt und daraus Sorbet gemacht hat. Er hatte auch kein Sous vide-Becken und keinen Pacojet“, fährt der 40-Jährige schmunzelnd fort.
Keine überladenen Deko-Geschichten
Klar, übersichtlich und aufs Wesentliche reduziert – seine Teller kommen bis auf wenige Ausnahmen sehr puristisch daher. „Instagram, die ganzen überladenen Deko-Geschichten – das ist nicht meins“, betont der Chef. Purismus und Klarheit strahlen nicht nur seine Gerichte, sondern auch sein offenes Reich aus. „Die erste Küche, die ich selbst planen durfte, wo alles an dem Platz ist, wo ich es gerne haben möchte“, erklärt René Stein. Als Vorbild diente ihm die Küche im Alinea von Grant Achatz in Chicago, wo er für eine kurze Stage verbrachte. Dort lernte er großzügige Arbeitsflächen schätzen. „Das hat mich total geflashed. Alles außer dem Herd war frei und wurde flexibel bestückt mit dem, was man gerade zum Kochen brauchte, und dann wieder weggeräumt.
Seine sieben Jahre in den USA, u.a. in New York und Wyoming, haben ihn gesprägt. Zunächst aber das Buch „Geheimnisse aus meiner 3 Sterne Küche“ von Dieter Müller. Sein Ausbilder bewies feines Gespür, als er es ihm schenkte und René Stein damit für die Kochkunst begeisterte, sodass ihn sein weiterer Weg in die Sterneküche führte. Juan Amador und Heiko Antoniewicz wurden zu Mentoren. René Stein arbeitet strukturiert und leidenschaftlich. Er vereint Wissen und Können mit Intuition und schafft somit einen ganz eigenen Stil, in dem das Produkt akzentuiert zur Geltung kommt. Die Zeit in den USA erweiterte seinen Horizont hinsichtlich Produkten und Zubereitungsarten, vor allem aber eignete er sich die lockere Art der Amerikaner an. Er liebt den Austausch mit seinen Gästen. Das kommt auch in Franken gut an, wo er sich nach seiner Rückkehr aus den USA als Küchenchef im Schwarzen Adler seinen ersten Michelin-Stern erkochte.
Nichts dem Zufall überlassen
René Stein trennt in seiner neuen Wirkungsstätte nicht zwischen Küche und Gastraum. Die Grenzen sind fließend. Kommunikatives Kochen und der persönliche Austausch stehen an erster Stelle. Im Tisane empfängt er seine Gäste an vier Tagen in der Woche und kocht für sie mit seinem kleinen Team ein Neun-Gänge-Menü. „Wir starten um zirka 19 Uhr“, erklärt er das Konzept. Alle Gäste sollen reservieren und möglichst zur selben Uhrzeit da sein. Nichts wird dem Zufall überlassen. Mit der Reservierung auf der Plattform „tock“ werden 150 Euro Anzahlung pro Person im Voraus fällig. Die Wein- oder alkoholfreie Getränkebegleitung kann man gleich mitbuchen. Aktuell werden jeden Abend bis zu 14 Gäste an der Theke bewirtet, nach der Eröffnung im Januar waren es zunächst zwölf, in einem halben Jahr sollen es 16 bis 18 sein. Das Menü wechselt monatlich. Bei der Produktauswahl geht es dem Küchenchef darum, „das beste Produkt zu kaufen, das ich bekommen kann“. Auf den Regionalzug mag er nicht aufspringen, will auf exzellente Produkte aus Frankreich wie Steinbutt, Taube oder Jakobsmuscheln nicht verzichten. Doch er bleibt flexibel, auch der perfekte Saibling aus regionaler Zucht ist eine Option. „Bei Milch, Sahne, Butter, Gemüse schaue ich schon auf regionale Bezugsquellen, aber wenn ich den Lauch nicht in der Qualität bekomme, die ich haben möchte, kaufe ich ihn nicht.“
Wohin geht der Kurs in der Gourmetszene? Kommt im Zuge des Fachkräftemangels die Zeit der puristischen Küche? René Stein steht zu seinem Stil, hofft aber, dass „es abwechslungsreich bleibt, nicht jeder dasselbe macht“. In Nürnberg finde man in der gehobenen Küche eine tolle Vielfalt von aufwändig bis schlicht und klasse Kollegen. Er schätzt den Austausch, bleibt sich aber treu: „Ich schaue nicht, was andere machen. Ich koche intuitiv. Es muss sich gut anfühlen für mich, dann machen wir das.“
Text: Sabine Romeis
Fotos: Thorsten Kleine Holthaus