Nordic Cuisine
Wenn der Koch zum Sammler wird
Ingolfur Norbert Piffl (34) wurde in klassisch-französischer Küche ausgebildet. Sein Kochstil im Hotel Húsafell auf Island ist ein spannender Mix aus vorzugsweise isländischen Zutaten, die er am liebsten mit Techniken der japanischen Küche kombiniert
Ingolfur Piffl liebt Foraging, sprich die Nahrungssuche in der Natur. „Warum soll ich Geld für etwas ausgeben, das draußen vor der Türe wächst und ich dort für die Zubereitung meiner Gerichte einfach nur pflücken muss?“ In Island ist er mit dieser Philosophie am rechten Platz. Es gibt in der Natur fast nur essbare Pflanzen, und die sind begehrt – bei Mensch und Tier: „Neulich wollte ich Heidelbeeren für die Soße sammeln, doch an der Stelle, wo sie mir tags zuvor aufgefallen waren, war keine einzige Beere mehr. Als ich die kleine Schafherde in der Nähe sah, wurde mir klar: Diese Heidelbeeren sind höllisch lecker, das wissen natürlich auch die Schafe.“
Nach Island, der Familie wegen
Ingolfur Norbert Piffl wurde als Sohn einer isländischen Mutter und eines österreichischen Vaters im Dezember 1987 in Island geboren und zog mit seinen Eltern im Alter von zwei Jahren nach Südafrika. 1999, mit inzwischen zwölf Jahren, ging er nach Österreich, um seine Schulzeit zu beenden, und entschied sich danach für eine Ausbildung in der Gastronomie. Er machte einen österreichischen Abschluss in Tourismus und als Koch. Auf seinem sehr gut gepflegten Instagram-Account bezeichnet er sich selbst u.a. als „reisender Chef, der sein Handwerk liebt“, als „stolzer Food-Nerd“, „Pâtissier“, „Ernährungsexperte“ und „Teekenner“. Nach Abschluss seiner Ausbildung hat er überwiegend in Österreich gearbeitet, aber für kürzere Stagièren u.a. auch in der Schweiz, Island und Irland. 2011, mit 23 Jahren, war er jüngster Chef in Österreich mit 17/20 Punkten im Gault & Millau. Ganz Kochverrückter, nahm er an Wettbewerben teil und kochte bei Food Festivals mit berühmten Chefs wie Rasmus Kofoed, Eckart Witzigmann, Even Ramsvik oder Ryan John Rogers. Darüber hinaus ließ er keine Gelegenheit aus, um sich auf kulinarischen Reisen in seinem Fach weiterzubilden und weitere Abschlüsse zu erlangen: vor allem durch verschiedene Fernstudiengänge an der Wageningen University in den Niederlanden.
Zwischen zwei Vulkanen, inmitten großartiger Natur
Seit fünf Jahren arbeitet Ingolfur Piffl nun „zuhause“ in Island – der Familie zuliebe. „Meine Eltern, Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen wohnen hier. Ich habe sie 17 Jahre vernachlässigt, weil ich nur gearbeitet habe. Ich war immer das schwarze Schaf in der Familie – nie zuhause, immer am Arbeiten, nie Zeit für irgendwas Privates.“ Aus den ursprünglich geplanten zwei Jahren in Island sind inzwischen fünf geworden, was nicht zuletzt auch der Pandemie geschuldet ist. Seinen Einstieg im Hohen Norden fand Ingolfur Piffl als Sous Chef im Vox Restaurant im Hilton Nordica in der Hauptstadt Reykjavík. Seit Januar 2020 arbeitet er nun rund 130 Kilometer nordwestlich von Reykjavík, im Hotel Húsafell, ein Lodge-Resort mitten in der großartigen Natur, zwischen zwei Vulkanen gelegen und mit eigener Geothermalquelle.
Ingolfur Piffl führt als Küchenchef heute rund 18 Mitarbeiter*innen. Sein Team ist bunt gemischt und besteht aus Ungarn, Kroaten, Slowenen, Polen, Österreichern, Deutschen etc. „Hier ist der Lebensstandard komplett anders und angenehmer, das zieht immer mehr Mitteleuropäer in den Hohen Norden. Auch die Verdienstmöglichkeiten sind sehr gut.“ Ausländische Arbeitskräfte sind gefragt, denn der Tourismus boomt. Er hat nach dem pandemiebedingten Einbruch in 2020/21 wieder stark an Fahrt gewonnen. „Wir haben hier rund 360.000 Einwohner und erwarten in diesem Jahr bis zu drei Millionen Touristen“, sagt Ingolfur Piffl.
Monatliche Arbeitszeit: 157 Stunden
Island hat ihn, den ehemals ruhe- und rastlosen Koch, geerdet. „Generell in Skandinavien und speziell in Island pflegt man einen sehr entspannten Lebensstil, alle sind extrem relaxed und sehr gechillt, wenn es ans Arbeiten geht. Familie und Freizeit haben immer Priorität“, berichtet Ingolfur Piffl über die Lebensphilosophie der Isländer, an die er sich, wie er zugibt, gewöhnen musste. In den isländischen Profiküchen beträgt die monatliche Arbeitszeit 157 Stunden, Überstunden sind tabu. Die Arbeitszeiten und -bedingungen werden von den isländischen Gewerkschaften streng kontrolliert. Während in vielen Betrieben eine Vier-Tage-Woche mit Zwölf-Stunden-Schichten gilt, arbeitet das Küchenteam im Hotel Husáfell in einer Sieben-Tage-Woche und hat dann sieben Tage frei. Es gibt zwei voneinander unabhängige Küchenteams und Ingolfur Piffl versteht sich als Schnittstelle zwischen den beiden Teams.
Inzwischen weiß er die Freiräume zu schätzen, die ihm das isländische Arbeitsleben bietet. „Ich mache viel mehr Sport als früher, ernähre mich besser und habe – zusätzlich begünstigt durch die Corona-Zeit – drei Fernstudien in Ernährungsberatung, Ernährungswissenschaften und Ökologischer Tourismus absolviert.“ Im Húsafell Hotel fühlt er sich wohl und geschätzt. „Nach dem Start bei der Hotelgruppe Hilton habe ich einen privat geführten Betrieb gefunden, der mich in allen meinen Plänen unterstützt, sehr umweltbewusst und ökologisch arbeitet und in dem es viele ehrgeizige Pläne für die Zukunft gibt. Hier kann ich meine Liebe zur Natur und meine Leidenschaft für die Nordische Küche leben“, zieht Ingolfur Piffl zufrieden Bilanz. Das Hotel Húsafell hat rund 40 Zimmer und Suiten, die über Lodges harmonisch in die umliegende Natur integriert sind.
Sensationelles heimisches Gemüse
Der 34-jährige Küchenchef wurde in klassisch-französischer Küche ausgebildet. Sein Kochstil ist heute jedoch ein Mix aus vorzugsweise isländischen Zutaten, die er am liebsten mit Techniken der japanischen Küche kombiniert. In jüngerer Zeit setzt er sich intensiv mit der vegetarischen Küche auseinander, doch seine Karte bietet auch Fisch und Fleisch. „Man glaubt nicht, wie schwierig es ist, in Island guten Fisch zu bekommen“, sagt Ingolfur Piffl. „Die Fischindustrie arbeitet nach streng festgelegten Fangmengen, und es wird fast alles, was gefangen wird, exportiert. „Man muss schon sehr gute Beziehungen zu Fischhändlern haben, um im Land selbst an guten Fisch zu kommen.“ Eine Alternative ist selber fischen und angeln, doch speziell die Lizenz fürs Lachsfischen ist extrem teuer, andere Fischlizenzen sind deutlich günstiger. Außerdem gilt in Island das Gesetz, das alles, was das Meer bietet, den Menschen gehört. Kurz: Im Meer fischen ist kostenlos und der Fang darf auch kommerziell, z.B. in Restaurants, angeboten werden.
„Warum soll ich Geld für etwas ausgeben, das draußen vor der Türe wächst und ich dort einfach nur pflücken muss?“
Ingolfur Norbert Piffl, Küchenchef, Húsafell Hotel, Island
Das meiste Fleisch und viele Gemüsearten muss ein gehobenes Hotel wie das Húsafell mit täglich allein 60 bis 80 Essen à la carte über Importware abdecken. „Die isländischen Gemüse und vor allem die Tomaten sind im Sommer sensationell, doch in den Wintermonaten gibt es wenig Gemüse auf dem Markt – meist nur Kartoffeln, Karotten und Sellerie. Typische Wintergemüse, wie man sie in Deutschland und Österreich kennt, gibt es hier nicht.“ Darum – und weil die Importware sehr teuer ist – setzt Ingolfur Piffl auf eine gute Mischung aus Selbersammeln und Konservieren; z.B. Trocknen, Fermentieren und Einkochen. Auch ein eigenes Gewächshaus ging jüngst in Betrieb.
Faible für isländisches Lamm – und Pferd
Bei Fleisch verwendet der Küchenchef das isländische Lamm – „ich habe selten so gutes Lammfleisch gegessen. Schweinefleisch wird meist aus Dänemark importiert, und Rinder dienen in Island eher für die Milchwirtschaft denn für die Fleischerzeugung. Entsprechend ist die Qualität, das gilt auch für Geflügel.“ Ingolfur Piffl schätzt auch isländisches Pferd: „Das Fleisch ist wunderschön marmoriert, fast wie Kobe Beef, und die Tiere wachsen in der Natur auf. Leider lassen sich viele Gäste nur schwer für Pferdefleisch begeistern.“
Fünf Jahre in Island haben Ingolfur Piffl geprägt und seinen Blick auf Küche und Kochen verändert. Ist er ein typisch nordischer Koch geworden? Er schränkt ein: „Vom Leben zum Teil ja, vom Arbeiten nein. Ich kann meine Wurzeln in der klassischen Küche nicht verleugnen, die auf Disziplin und Ausdauer beruhen, aber in kreativer Hinsicht hat mich die Zeit in Island sehr weit vorangebracht.“ Auf Dauer sesshaft werden, will er jedoch vorerst nicht. Die nächste Reise ist bereits geplant.
Text: Sabine Romeis
Fotos: Husáfell Hotel/Ingolfur Piffl