Endlich wieder Gänsesaison
Weihnachts-Gans im Glück
Rund zehn Millionen Gänse werden hierzulande von St. Martin bis Weihnachten gegessen, etwa die Hälfte in der Gastronomie. Die weitaus meisten Tiere kommen aus Osteuropa, die besten Gänse wachsen jedoch auf deutschen Weiden auf. Für die hiesigen Züchter spielen Nachhaltigkeit, artgerechte Haltung und Tierwohl eine wichtige Rolle
Alljährlich zu Beginn der Gänsesaison häufen sich in den Medien die Berichte über die Aufzuchtbedingungen des beliebten Geflügels. Da ist dann von „Qualzucht“ oder „Tierleid für den Festtagsbraten“ die Rede. Das verdirbt so manchem die Lust auf den Gänsebraten. Den Rest tun ergänzende Fotos von zusammengepferchten Tieren, lebend gerupften Gänsen oder zwangsgefüttertem Federvieh für die Stopfleberproduktion. Dass es auch anders geht, beweisen die rund 4500 Gänsehaltungsbetriebe in Deutschland. Selbst Tierschutzorganisationen attestieren den deutschen Züchtern, dass sie ihre Tiere artgerecht aufziehen und empfehlen deren Kauf. Deklarationen wie „Auslaufhaltung“, „Freilandhaltung“, „Weideganshaltung“ oder die Bio-Siegel von Demeter und Bioland helfen bei der Orientierung. Allerdings: Nur ein geringer Teil der hierzulande verzehrten Gänse stammt aus Deutschland. Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2022 in Deutschland lediglich 2400 Tonnen erzeugt, während das Gros, 14800 Tonnen Gans, vor allem aus Ländern wie Polen (76,1 Prozent) und Ungarn (21,5 Prozent) importiert wurde.
Deutsche Gänse leben im Freiland
Einer der in der Gastronomie renommiertesten Züchter ist der Geflügelhof Nobis in Bakum-Vestrup, Südoldenburg. „Die deutsche Gänseproduktion zeichnet aus, dass unsere Tiere im Freiland auf Wiesen leben“, sagt Geschäftsführer Franz Nobis. „Gänse fühlen sich draußen am wohlsten, daher hat sich diese artgerechte Form der Aufzucht durchgesetzt.“ Gänse in Osteuropa wachsen größtenteils eingestallt in Mastfarmen auf. Während Gänse aus Polen und Ungarn mitunter in nur 9 bis 15 Wochen zur Schlachtreife gemästet werden, leben die Tiere auf dem Geflügelhof Nobis zwischen 16 und 22 Wochen. Durch eine längere Mastdauer würde die Gans an Zartheit verlieren. Rund 25000 Gänse gibt es auf den Wiesen der Mäster von Nobis, die sich alle in der Umgebung von Bakum-Vestrup befinden. Zugefüttert neben Gras & Co. wird lediglich ein Gemisch aus Getreide und Mais mit ergänzenden Vitaminen und Aminosäuren. Weil Nobis Gänse sich frei bewegen dürfen, ist deren Muskelfleisch zarter als bei Tieren, die ihr kurzes Leben lang den Stall nicht verlassen haben.
„Wenn die Bratverluste 30 Prozent und mehr betragen, relativiert sich ein vermeintlich niedriger Einkaufspreis.“
Jean-Luc Peltriaux, Einkäufer für Fleisch & Geflügel bei R express
„Ich finde es schade, dass beim Einkauf von Lebensmitteln sehr oft auf den Preis geschaut statt auf die Qualität geachtet wird.“
Sebastian Foßhag, Brand Manager, Transgourmet Ursprung
Trockenrupf als Qualitätsmerkmal
Als entscheidend für die Qualität seiner Gänse bezeichnet Geschäftsführer Franz Nobis das Trockenrupfen, mit dem die Federn sehr aufwendig, aber schonend entfernt werden. „Der Großteil der Züchter bearbeitet die Gänse vor dem Rupfen mit Dampf oder brüht sie“, sagt Franz Nobis. „Auf diese Weise lösen sich die Federn zwar leichter, aber gleichzeitig wird die Oberhaut, auch Epidermis genannt, in der sich die Aromastoffe befinden, beschädigt oder sogar teilweise entfernt.“ Der Aufwand für den Trockenrupf ist trotz maschineller Unterstützung auch für die Mitarbeitenden sehr hoch. Im letzten Arbeitsschritt wird mit Pinzetten nachgezupft, um auch die letzten Kiele aus der Haut zu entfernen. „Damit wir optisch perfekte Produkte ausliefern können, ist eine enorme Arbeitsleistung notwendig“, betont Franz Nobis, „das macht den Unterschied aus, den unsere Kunden honorieren.“
Einkaufspreis contra Bratverluste
Ein Großhandelspartner von Nobis Geflügelhof ist R express aus Meckenheim. „Es gibt auch in Deutschland inzwischen ausgezeichnete Produkte“, bestätigt Jean-Luc Peltriaux, Einkäufer für Fleisch & Geflügel, „gute Lebensmittel sind allerdings knapp und haben daher ihren Preis.“ Jean-Luc Peltriaux weiß, dass viele Küchenchefs aus Budgetgründen oft kostenbewusst einkaufen müssen, gibt allerdings zu bedenken: „Wenn die Bratverluste bei einer Gans 30 Prozent und mehr betragen, relativiert sich ein vermeintlich niedriger Einkaufspreis schnell.“ Darum lohne es sich, auf Qualität zu achten, und lieber etwas mehr für die Gans zu bezahlen. R express könnte auch Gänse aus Frankreich ins Programm aufnehmen, die deutlich teurer wären als die deutsche Spitzenware. Tun die Meckenheimer aber nicht. Jean-Luc Peltriaux: „Der Markt ist einfach zu klein, daher lohnt sich für die französischen Erzeuger der Export nach Deutschland nicht.“ Absatzsorgen kennen die Franzosen dennoch nicht: Sie essen ihre Gänse selbst.
„Früher waren polnische Gänse am beliebtesten. Heute verkaufe ich allerdings doppelt so viele Bio-Gänse.“
Michael Knauer, Inhaber GänseExpress, Potsdam
Festes Fleisch durch zu viel Auslauf
In Deutschland gibt es wenige Küchenchefs, die mehr Erfahrung mit der perfekten Zubereitung von Gänsen haben als Michael Knauer, Küchenmeister, Caterer und privater Mietkoch in Potsdam. In den Herbst-/Wintermonaten beliefert er mit seinem Unternehmen GänseExpress viele Firmen und Privathaushalte mit Gänsebraten samt Beilagen. „Ich habe in den letzten Jahren mehrere tausend Gänse verarbeitet“, bestätigt Michael Knauer. „Inzwischen weiß ich, worauf es beim Einkauf ankommt.“ Ausgerechnet bei Bio-Gänsen ist es ihm passiert, dass es zu Reklamationen kam, weil das Fleisch zäh war. „Die Gänse hatten zu viel Auslauf, wodurch das Fleisch fest und muskulös geworden war.“ Michael Knauer rät Kollegen, Züchter vor Ort zu besuchen, um die Aufzuchtbedingungen kennenzulernen, und sich außerdem rechtzeitig Gedanken über die benötigten Mengen für die Saison zu machen. Vor allem angesagte Züchter teilen ihre Kontingente bereits im Frühjahr auf.
Fast 50 Hektar Grünland für 3500 Gänse
Transgourmet Deutschland hat schon vor zehn Jahren mit der Marke Ursprung ein Sortiment rund um Tierwohl, Nachhaltigkeit, artgerechte Haltung und Stärkung bäuerlicher Erzeuger aufgebaut. Jedes gelistete Produkt hat seine ganz eigene, authentische Geschichte. Fast 40 Erzeuger vom Fischzüchter über Käsereien bis zum Gemüsebauern sind Teil von Transgourmet Ursprung. Die Standards bewegen sich zwischen besser als konventionell und dem Bio-Bereich. Für Gänse arbeitet Transgourmet mit Lorenz Eskildsen, Geflügelhalter des Jahres 2023, zusammen, der in Wermsdorf in der Nähe von Leipzig einen seiner Höfe betreibt. Vom Ei bis zum Endprodukt kommt hier alles aus einer Hand. Nach dem Schlüpfen leben die Küken im Stall, bis sie größer sind und ihr Gefieder dicht genug ist, um sie vor der Witterung zu schützen. Von da an können sie sich auf den Weiden oder im weitläufigen Stall frei bewegen. Den 3500 Gänsen von Lorenz Eskildsen stehen fast 50 Hektar Grünland zur Verfügung – mehr als 140 Quadratmeter Fläche pro Tier.
„Unsere Ursprung-Produkte liegen qualitativ auf einem sehr hohen Level, daher kosten sie natürlich auch etwas mehr“, sagt Sebastian Foßhag, der als Brand Manager die Marke betreut. „Es gibt eine immer größer werdende Zielgruppe, die wissen will, wo ein Produkt herkommt und welcher Züchter oder Erzeuger dahintersteht.“ Auf Wunsch können Kunden die Betriebe besuchen. „Die Geschichten, die hinter Ursprung stehen, können Gastronomen von Flensburg bis Garmisch erzählen“, sagt Sebastian Foßhag, „Wir machen es Kunden leicht, tolle regionale Produkte direkt zusammen mit ihrem übrigen Bedarf bei uns zu ordern.“
„Wir geben unser Herzblut dafür, dass es unseren Tieren bis zur stressfreien Schlachtung gut geht.“
Franz Nobis, Geschäftsführer, Geflügelhof Nobis
Franz Nobis* über…
… Tücken der Gänsezucht
Gänsezucht ist komplex. Die Tiere müssen natürlich befruchtet werden und legen nur zu bestimmten Zeiten im Frühjahr und Sommer ihre Eier. Eine Gans ganzjährig zu produzieren, ist daher nicht möglich. Für uns ist die Planung der Gänsezucht jedes Mal eine große Herausforderung, weil wir zum Ende eines Jahres bereits mit den Vorbereitungen für die neue Saison beginnen müssen. Wir würden es begrüßen, wenn wir von unseren Kunden rechtzeitig eine Rückmeldung bekommen könnten, wieviele Gänse sie für die kommende Saison benötigen. Dann würden wir mit unseren Planungen näher an der Realität liegen und müssten nicht riskieren, am Ende auf nicht abgenommenen Mengen sitzenzubleiben.
… Schockgefrostete Ware
Es würde uns die Arbeit erleichtern, wenn mehr Kunden als bisher auf von uns schockgefrostete Ware zurückgreifen. Diese Produkte sind nicht nur preislich attraktiv – wir können auf diese Weise auch eine genau kalibrierte Ware liefern, die besser kalkuliert werden kann. Nach Tests in Zusammenarbeit mit Köchen kann ich garantieren, dass die Qualitätseinbußen durch das Schockfrosten gleich null sind. Kunden erhalten mit schockgefrosteter Ware zudem die Sicherheit, dass avisierten Mengen zu 100 Prozent geliefert werden, und es nicht durch beispielsweise die Vogelgrippe in der Saison zu Ausfällen und Lieferengpässen kommt.
… Qualität aus Deutschland
Teilweise werden hierzulande Gänse aus Osteuropa regelrecht verramscht, die im Einkauf zwar 70 bis 80 Prozent günstiger sind als deutsche Ware, aber nicht artgerecht aufgezogen wurden. Qualzucht, Rupf von lebenden Tieren fürdie Daunengewinnung oder Gänse aus Stopfleberproduktion sind in manchen Ländern nach wie vor erlaubt oder werden toleriert. Bevor diese Gänse aus Polen, Ungarn oder auch Frankreich bei uns auf den Markt kommen, wurde mit Tierquälerei Geld verdient. Es ist zum Teil abartig, was da gemacht wird. Wir distanzieren uns von solchen Aufzuchtmethoden, nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch aus ethischer Überzeugung. Wir geben unser Herzblut dafür, dass es unseren Tieren bis zur stressfreien und tierschutzgerechten Schlachtung gut geht. Maßnahmen für das Tierwohl kosten aber Geld und müssen vom Kunden bezahlt werden.
*Franz Nobis ist Geschäftsführer des Geflügelhofs Nobis in Bakum-Vestrup, Südoldenburg.
Interview: Jörg-Michael Ehrlich
Fotos: Unternehmen