Vegetarisch-vegane Küche der Extraklasse

Der mit den Pflanzen spricht

Emile van der Staak, Zwei-Sterne-Koch aus den Niederlanden, ist der vielleicht beste vegetarisch-vegane Koch der Welt. Sein Restaurant De Nieuwe Winkel in Nijmegen ist das Aushängeschild der botanischen Gastronomie

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Die Pflanze in der Hand, Erde unter den Fingernägeln und das neue Gericht schon weitgehend im Kopf fertig: Wenn Küchenchef Emile van der Staak auf einem Baumstamm im Ketelbroek Forest sitzt, ist er in seinem Element. Der Wald ist der Ort, wo er die Zutaten für seine Küche findet und an dem neue Kreationen entstehen. Seine Arbeitsweise unterscheidet sich deutlich von der vieler anderer Köchinnen und Köche. Getreu seines Mottos „Mehr Pflanzen, weniger Fleisch“ ist er mit seinem hochqualifizierten Team stets auf der Suche nach besonderen Produkten, die außerhalb der herkömmlichen Groß- und Supermarktregale zu finden sind.

Emile van der Staak ist überzeugt, dass die Entscheidungen von heute bestimmen, wie die Welt von morgen aussieht. Dabei kommt nach seiner Auffassung dem, was wir essen, große Bedeutung zu. Deshalb verwandelt er Pflanzen aus Wäldern, Naturgärten und seinem Küchengarten in unwiderstehliche Gerichte. Geschmack steht für ihn dabei an erster Stelle, denn für ihn steht fest: „Wenn es schmeckt, fragen die Gäste erfahrungsgemäß nicht lange, ob das Gericht aus Fleisch oder pflanzlichen Zutaten hergestellt wurde.“

Als der heutige Zwei-Sterne-Koch und Inhaber des Restaurants De Nieuwe Winkel vor rund 20 Jahren sein Bauingenieurstudium kurz vor dem Diplom schmiss, trieb ihn der Gedanke an die Welt von morgen um: Ihm sei klar geworden, sagt er heute, dass der Umgang mit den Herausforderungen, vor denen die Welt steht, die Menschen vor eine Wahl auf ihrem Teller stelle. Heute hat es der ehemalige Quereinsteiger in die Elite der pflanzenbasierten Küchenprotagonisten geschafft. Obendrein ist der Chef ein Unternehmer, der nicht nur kulinarisch neue Wege geht, sondern auch beim Umgang mit seinen Mitarbeitern. Das sagt Emile van der Staak über …

Seine Erfolgsformel

„Unser Erfolg lebt von der Aufmerksamkeit und Energie, die wir in unsere Pflanzen stecken. In unserem Restaurant De Nieuwe Winkel servieren wir außergewöhnliche Kreationen aus neuen und für unsere Gäste oftmals unbekannten Zutaten. Wir arbeiten derzeit mit rund 60 Pflanzen und heben sie kulinarisch auf ein völlig neues Niveau. Ich hoffe, dass unsere Devise „Mehr Pflanzen, weniger Fleisch“ in zehn Jahren allgemeingültiger Konsens ist und dass es mehr Küchenchefs und Kochbuchautoren gibt, die genauso denken wie wir. Das wäre ein großer Erfolg. Ich muss aber auch zugeben: Es erfordert viel Geduld, den Umgang mit unbekannten Obst- und Gemüsesorten zu erlernen. Zutaten wie japanischer Bergspargel, chinesisches Mahagoni und verschiedene Bambusarten zählen zu unseren größten Herausforderungen. Doch der Aufwand lohnt sich. Unsere Gäste lassen sich gerne überraschen. Wir kreieren für sie außergewöhnliche Gerichte, die sie nicht selten sprachlos machen. Es gibt Gäste, die regelrecht emotional werden, wenn sie die Geschichten hinter der Entstehung der verschiedenen Gerichte erfahren.“

Die Rolle der Natur

„Es ist eine großartige Zeit, um Koch zu sein. Die Generation vor uns war gewohnt, Produkte aus aller Welt einzukaufen. Die Köchinnen und Köche von heute wollen wissen, woher die Lebensmittel kommen, die sie verarbeiten, und suchen sie so nah wie möglich an ihrem Wohnort. Wenn die Natur ihre Arbeit getan hat, sind wir an der Reihe. Wir pflücken, riechen, probieren, analysieren, fermentieren, kochen. Wir kreieren, forschen, haben Spaß. Bis etwas auf dem Teller liegt, das unsere Gäste überrascht und überwältigt. Wir kochen im De Nieuwe Winkel hauptsächlich mit Pflanzen, die wir in der Umgebung finden – in Lebensmittelwäldern, auf Naturfeldern, in ummauerten Gärten. Bei uns schmeckt man die Region und die Saison.“

Optimalen Geschmack

„Kochen ist die Formel, Geschmack ist das Ergebnis. Wir Köche im De Nieuwe Winkel experimentieren mit den verschiedensten Konservierungs- und Zubereitungsmethoden, um das Optimale an Geschmack aus einem Produkt herauszuholen. Nur ein Beispiel: Auf unser Rübengericht kommt geriebenes Eigelb, das zuvor über drei Monate in Salzlake lag – das Ergebnis ist der beste Beweis dafür, dass man Zeit und Aufmerksamkeit schmecken kann. Wenn man der Natur ihren Lauf lässt, können schöne Dinge entstehen. Nicht nur beim Essen, auch bei Getränken. Wir haben ein Sortiment an fermentierten Säften, aber auch Naturweine. Weine, bei deren Genuss man noch die Landschaft riecht, in der die Trauben gewachsen sind. Für unser Angebot an Biere kooperieren wir mit lokalen handwerklichen Brauereien.“

„Wir kochen im Nieuwe Winkel hauptsächlich mit Pflanzen, die wir in der Umgebung finden. Bei uns schmeckt man die Region und die Saison.“

Emile van der Staak, De Nieuwe Winkel, Nijmegen, Niederlande

Besondere Bezugsquellen

„Wir beziehen unsere Produkte aus drei verschiedenen Gärten: Voedselbos Ketelbroek, De Ommuurde Tuin und Bodemzicht. Der Botaniker Wouter van Eck ist der Initiator des Waldgartens „Voedselbos Ketelbroek“. Er ist um die halbe Welt gereist, um neue Pflanzenarten zu erkunden, die für das niederländische Klima geeignet sind. Mit Erfolg: Viele der Pflanzen, die er zum Beispiel aus Asien mitgebracht hat, wachsen nun in seinem Waldgarten. Die Artenvielfalt unserer einheimischen Pflanzen ist recht überschaubar. Das haben wir geändert. Inzwischen wachsen im „Voedselbos“ rund 400 verschiedene essbare Pflanzen. Wir haben ein Anbausystem geschaffen, das sich an der Funktionsweise eines natürlichen Waldes orientiert. Dazu zählt auch der Anbau mehrjähriger Pflanzen. Sie wachsen und wachsen, ohne dass wir sie düngen oder zurückschneiden müssen. Und der Boden wird jedes Jahr fruchtbarer.“

Interaktion mit dem Gast

„Über unsere offene Küche können unsere Gäste an unserer Arbeit teilhaben. Es ist nicht schwer, mit uns in Kontakt zu kommen, um unsere Philosophie zu hinterfragen. Zumal wir Köche immer öfter unsere Gerichte auch selbst an den Tisch bringen, weil gutes Servicepersonal in diesen Zeiten immer rarer wird. Die Gäste finden es toll, wenn wir Köche an ihren Tisch kommen. Sie verstehen das als hohe Wertschätzung und nutzen den Moment für Rückfragen. Bemerkenswert finde ich den Altersdurchschnitt bei uns im Restaurant: Die meisten unserer Gäste sind zwischen 25 und 45 Jahre alt und sehr aufgeschlossen für das, was wir tun. Ältere Gäste tun sich meist schwerer mit der Akzeptanz unserer Küche. Der Altersdurchschnitt unserer Gäste ist für ein Zwei-Sterne-Restaurant ungewöhnlich und zeigt, wo die Reise hingeht. Die pflanzenbasierte Küche ist ein echter Zukunftstrend und für uns Köche auch in wirtschaftlicher Hinsicht hoch interessant.“

Klassische und botanische Küche

„Richtig guter Geschmack ist bei der Zubereitung von Pflanzen schwerer zu erreichen als mit Fleisch oder Fisch. Wenn man ein gutes Ribeye anbrät, erhält man automatisch ein ganzes Spektrum an Aromen. Für optimale Geschmackserlebnisse mit Pflanzen und Gemüse muss man ein ganzes Spektrum an verschiedenen Techniken anwenden. Trocknen, Dehydrieren, Fermentieren, Barbecue-Grillen sind nur einige davon. Aufgrund meiner eigenen Geschichte bin ich überzeugt, dass die besten vegetarischen Chefs zugleich die Chefs sind, die sich auch Fleisch- und Fischküche hervorragend auskennen. Ich habe meine Lehr- und Wanderjahre bei einigen der besten klassisch geprägten Küchenchefs in Europa verbracht und viele traditionelle Zubereitungen erlernt. Davon profitiere ich bis heute. Diese Zeit war die beste Grundlage für das, was ich heute tue.“

Geschmack & Verantwortung

„Bei uns im De Nieuwe Winkel steht der Geschmack an erster Stelle. Wenn es schmeckt, fragt der Gast nicht länger, ob das Gericht aus Fleisch oder pflanzlichen Zutaten hergestellt wurde. Wir denken aber auch, dass es nicht nur wichtig ist, wie es schmeckt, sondern auch, was auf den Teller kommt und woher es kommt. Unser aktuelles Konsumsystem ist nicht nachhaltig. Wir laugen sie Erde nach und nach aus. Die Speisekarten bestimmen die Landschaft. Die endlosen Felder mit Weidelgras, Mangold und Zuckermais – alles Futter für Milchkühe. Das geht anders. Wir kochen wir anders, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen – mit essbaren Pflanzen. Pflanzen, die hier seit Jahrhunderten wachsen, aber auch Pflanzen von weiter her. So fühlen sich z.B. der japanische Bergspargel, das chinesische Mahagoni oder die sibirische Honigbeere in den Niederlanden überraschend wohl.“

Hochqualifizierte Mitarbeiter

„Das Restaurant De Nieuwe Winkel ist im Grunde ein Experiment und birgt aufgrund seines außergewöhnlichen kulinarischen Konzepts auch ein gewisses Risiko zu scheitern. Ich könnte damit also theoretisch auch pleite gehen, doch ich habe hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an meiner Seite, sodass dieses Risiko eher sehr gering ist. Nach meiner Überzeugung bringen hochqualifizierte Mitarbeiter auch eine hochqualifizierte Leistung, die sich rechnet. Ich tue alles dafür, dass sie motiviert und mir treu bleiben: Ich behandle sie ordentlich, bezahle ihnen ein Gehalt, von dem sie gut leben und ihre Familie ernähren können, und gebe ihnen vier Abende in der Woche frei; das heißt, sie arbeiten bei mir dreieinhalb Tage. Darüber hinaus haben sie hier eine Aufgabe, die sie fordert und an der sie wachsen können. Zudem bekommen sie die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, z.B. durch Praktika bei Kollegen, und sich nach Wunsch weiterzubilden. Ich muss mir also keine Sorgen machen, dass sie unzufrieden sind, in der Leistung nachlassen und/oder gehen. Sie bekommen alles, was sie brauchen, und das schlägt sich dann auch im Ergebnis ihrer Arbeit positivnieder. Klar, die individuelle Arbeitskraft ist sehr teuer – die Personalkosten machen 40 Prozent von unserem Umsatz aus. Aber das wird durch einen Wareneinsatz von um die 20 Prozent für unseren pflanzenbasierten Warenkorb ausgeglichen.“

Text: Sabine Romeis
Fotos: Duncan de Fey; De Nieuwe Winkel