Norbert Niederkofler

Der Koch der Berge

Regionalität auf die Spitze getrieben: Der Südtiroler Drei-Sterne-Koch Norbert Niederkofler hat mit seinem Konzept „Cook the Mountain“ eine völlig eigenständige, unverwechselbare Küche geschaffen

Norbert Niederkofler – Der Koch der Berge

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„Die Begegnung mit dieser Küche ist keine Mahlzeit, sondern eine unvergessliche menschliche Erfahrung“, schrieb der Guide Michelin Italien, als er im Jahr 2017 dem Restaurant St. Hubertus in Hotel Rosa Alpina in St. Kassian den dritten Michelin-Stern verlieh. Mitten in der Bergwelt der Dolomiten, auf mehr als 1700 Metern, hat Norbert Niederkofler den Aufstieg auf den Kocholymp geschafft. Aus einer ehemaligen Pizzeria im Rosa Alpina hat er einen international bekannten Hotspot für die Gourmetszene gemacht und im Laufe von rund 25 Jahren eine völlig eigenständige, unverwechselbare Küche geschaffen. Während er in seinen Anfangsjahren im St. Hubertus eine eher klassische Gourmetküche mit Gänseleber, Hummer & Co. zelebrierte, arbeitet er seit über zehn Jahren konsequent nach dem Prinzip „Cook the Mountain“ und inszeniert ausschließlich regionale Produkte auf seinen Tellern.

„Wie bekommen wir das auf den Teller?“

Jedes seiner Gerichte spiegelt die umliegende Natur, die Bergwelt, die harte Arbeit der lokalen Bauern und Züchter sowie die besondere Qualität ihrer Produkte wider. Im Mittelpunkt steht der Respekt vor der Natur und ihren Produkten sowie den überlieferten Traditionen bei der Erzeugung bzw. Herstellung. Norbert Niederkofler geht es um den Erhalt der Kulturlandschaft Südtirol, ihre nachhaltige Bewirtschaftung, ganzheitliche Verarbeitung von Tieren und Pflanzen sowie eine Küche ohne vermeidbaren Abfall. Dies wird gepaart mit altbewährten wie neuen Kochtechniken und Garmethoden, um aus jedem Produkt geschmacklich das Beste herauszuholen. „Die entscheidende Frage ist immer: Wie bekommen wir das auf den Teller?“, sagt Norbert Niederkofler und setzt hinzu: „Bevor ich ein Gericht kreiere, lasse ich mich erst von der Natur inspirieren, von den Produkten, die sie im jeweiligen Moment zu bieten hat. Denn ich sehe es als Ausdruck von Respekt, dem Wandel der Jahreszeiten zu folgen.“

Produkte restlos genießen

Für die Realisierung seiner Vision von „Cook the Mountain“ hat er sich mit Bauern, Metzgern, Fischern, Jägern, Käsemachern sowie Kräuter- und Pilzsammlern auseinandergesetzt und zusammengerauft – gemeinsam haben sie viel bewegt. „Ohne Norbert Niederkofler gäbe es uns schon lange nicht mehr. Er hat uns salonfähig gemacht und ist bis heute größter Abnehmer für unsere Bergschafe“, sagt Peter Wieser, Obmann der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Wipptal. Nicht nur alte Tierrassen, sondern auch wilde (Heil)Kräuter sowie „vergessene“ Obst- und Gemüsesorten wurden für „Cook the Mountain“ neu entdeckt bzw. wieder angebaut. Lebensmittelabfälle werden auf ein unvermeidbares Minimum reduziert. „Ob Kartoffelschalen, Fischhaut oder das Kochwasser von Gemüse – mit Kreativität und Einfallsreichtum lässt sich jeder Lebensmittelrest gourmettauglich verarbeiten und jedes Produkt restlos genießen“, sagt Nobert Niederkofler.

Konservierung als Schlüssel zum Erfolg

Das Thema Konservierung spielt für den Erfolg seines Konzepts eine wesentliche Rolle, um sich in den wachstums- und erntereichen Monaten einen ausreichenden Vorrat für den Winter zu schaffen. Durch Methoden wie Fermentation werden Lebensmittel nicht nur länger haltbar gemacht, sondern erhalten oft auch eine ganz neue Wertigkeit. So entstehen beispielsweise Alternativen für Zutaten, die es in der lokalen Produktwelt nicht gibt. Das Gericht Forelle Müllerin Art wurde überhaupt erst möglich, weil Hubert Niederkofler in fermentierten gelben Pflaumen einen perfekten Ersatz für die Säure von Zitronen fand.

Im Winter 2018/19 eröffnete der Ausnahmekoch neben dem Engagement im St. Hubertus auf 2275 Metern sein eigenes Restaurant: das AlpiNN Food Space und Restaurant am Gipfel des Brunecker Hausbergs Kronplatz. Hier kann er seine Küche und Philosophie wegen des großen Sitzplatzangebots für ein breiteres Publikum erlebbar machen. Das AlpiNN befindet sich in einem spektakulär in den Berg gebauten Gebäude und bietet durch seine Komplettverglasung einen unverstellten, atemberaubenden Blick über die Südtiroler Alpenlandschaft. Für Norbert Niederkofler ist es „das Zuhause“ von Cook the Mountain: „Irgendwie bin ich da oben jetzt angekommen.“

Interview

„Die Natur trifft die Entscheidungen“

Norbert Niederkofler über seine spannende Philosophie „Cook the Mountain“, mögliche Lehren aus der Pandemie und warum er Hummer und Gänseleber in seiner Küche nicht vermisst.

Norbert Niederkofler – Der Koch der Berge

Sie waren ein sehr erfolgreicher Koch, doch erst als Sie begannen, sich auf die Schätze und die Kultur Ihrer Heimat zu besinnen, schafften Sie es, einer von zehn Drei-Sterne-Köchen in Italien zu werden. Mal ehrlich, vermissen Sie manchmal Produkte wie Hummer oder  Gänseleber in Ihrer Küche?

Niederkofler: Wenn ich in der Bretagne bin, esse ich immer noch gerne Hummer, aber hier in meiner Küche vermisse ich solche Edelprodukte, die es in den Sterneküchen auf der ganzen Welt gibt, nicht. Ganz im Gegenteil: Je mehr Türen wir zur Verwirklichung unseres Konzepts „Cook the Mountain“ bei der Produktauswahl zugemacht haben, umso mehr haben sich geöffnet, und wir haben dahinter sehr viel spannendes Neues gefunden. Ob die verschiedenen Geschmacksrichtungen, Säure, Salz, Pfeffer – alles haben wir in den Kräutern und Pflanzen, die wir hier haben, für unsere Küche entdeckt.

Ist „Cook the Mountain“ auf Ihre Heimat, die Dolomiten, beschränkt oder ist das Konzept multiplizierbar?

Niederkofler: Nein, die Philosophie hinter „Cook the Mountain“ ist grundsätzlich auch auf andere Länder und Regionen übertragbar. Ob in Bayern, auf Sardinien oder an der Atlantikküste: Jede Region hat ihre Produkte, Produzenten und kulinarischen Traditionen, auf die man sich besinnen kann. Wichtig ist, dass man die Natur um sich herum respektiert und sich lokale Produzenten als Partner sucht. Vor kurzem habe ich mit dem Aman Hotel in Venedig das Projekt „Cook the Lagoon“ gestartet. Mit Executive Chef Dario Ossola wollen wir das Konzept der Hotelküche und insbesondere des Signature Restaurants Arva neu ausrichten. Aus den frischesten Produkten vom Markt von Rialto, aus der Lagune von Venedig und den umliegenden Inseln sollen moderne Interpretationen venezianischer Klassiker entstehen.

Sich ein regionales Erzeugernetz aufzubauen, ist aufwändiger als sich von den einschlägigen Lieferanten der Spitzengastronomie beliefern zu lassen. Wie lange haben Sie gebraucht?

Niederkofler: Es hat etwa fünf Jahre gedauert, um das System für meine Bergküche aufzubauen, und ich wurde anfangs von Bauern und Erzeugern nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Wo immer ich anklopfte, erhielt ich die gleichen Antworten: „Nein, das geht nicht. Nein, das können wir nicht machen.“ Es war ein hartes Stück Arbeit, ich musste viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Bauern mussten verstehen, was ich vorhabe, und ich musste sie und ihre Arbeit verstehen. Ich habe ihnen meine Wünsche vorgetragen, und sie haben mir ihre Möglichkeiten unterbreitet. Es erforderte sehr viel Kommunikation und einen Austausch auf Augenhöhe – so sind wir schließlich zusammengewachsen.

Was war rückblickend die größte Herausforderung bei der Umsetzung Ihrer bahnbrechenden Philosophie?

Niederkofler: Was ich am Anfang nicht wusste: Wenn man sich für ein Konzept wie „Cook the Mountain“ entscheidet, muss man sich auf die Natur einlassen und sich darüber im Klaren sein: Nicht du triffst die Entscheidungen, sondern die Natur. Die Natur hat ihre eigenen Spielregeln, denen man sich wohl oder übel unterwerfen muss. Sie ist clever und folgt ihrem eigenen Rhythmus: Im Sommer und Herbst kann man aus dem Vollen schöpfen, hat zum Teil Ware im Überfluss, und wenn man im Winter bis ins Frühjahr gut über die Runden kommen will, muss man rechtzeitig vorsorgen und seine Speisekammer füllen. Nachbestellen geht nicht. Deshalb ist Haltbarmachen bei uns ein ganz großes Thema: Trocknen, Fermentieren, Einlegen…

Sie kaufen direkt bei den Erzeugern, verarbeiten ganze Tiere, Ihr Team sammelt Zutaten in der Natur – ist das  Konzept „Cook the Mountain“ wirtschaftlicher als die herkömmliche Sterneküche?

Niederkofler: Allein vom Wareneinsatz betrachtet schon, in Sachen Mitarbeitereinsatz leider nicht. Allein schon die Warenbeschaffung nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, und die Verarbeitungsprozesse sind sehr aufwändig. Von der Eröffnung unseres zweiten Restaurants, des AlpiNN auf dem Gipfel des Kronplatz, profitieren wir sehr. Dort sind ganz andere Mengen gefragt als im St. Hubertus, denn es gibt nicht nur 30, sondern 130 bis 150 Sitzplätze. Das macht es für uns zum Beispiel auch einfacher, ganze Tiere zu verarbeiten. In der Kombination beider Restaurants lässt sich das komplexe System von „Cook the Mountain“ viel, viel besser am Laufen halten und wir können die lokale Wirtschaft noch besser unterstützen. Wir kaufen mittlerweile im Jahr allein mit unseren beiden Restaurants lokale Produkte und Erzeugnisse im Wert von einer halben Million Euro ein.

Gerade zwingt Sie die Corona-Pandemie mit dem zweiten Lockdown erneut zu einer Pause. Wie geht es Ihnen damit?

Niederkofler: Es ist demotivierend, dass wir nicht mehr machen können, was wir wirklich gerne machen. Wir mussten bereits im Frühjahr unsere Bauern bitten, weniger zu produzieren, weil wir keine Abnahmegarantien mehr geben können. Die Kommunikation untereinander, aber vor allem auch mit unseren Gästen leidet, dabei haben wir so viele spannende Geschichten zu erzählen. Und selbst wenn wir demnächst wieder Gäste empfangen dürfen: Mit Maske und Abstand ist es schwieriger, unsere Philosophie rüberzubringen und die Gäste zu begeistern.

Was, denken Sie, werden wir am Ende aus der Pandemie lernen?

Niederkofler: Ich kann nur hoffen, dass wir alle begreifen, dass wir viel, viel mehr auf die Natur, eine gesunde Ernährung und gute Lebensmittel achten müssen. Wir müssen weg von industriellen Monokulturen, hin zu mehr Biodiversität. Wir Köche können durch bewussteres Handeln einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

BUCHTIPP

Buchtipp:

„Cook the Mountain“ – The nature around you

Das aufwändige Buchprojekt teilt sich in Bild- und Rezeptband und wurde vollständig auf Apfelpapier gedruckt. Durch die Wiederverwendung von Apfelresten, die sonst weggeworfen werden, repräsentieren die Bücher die Idee der Nachhaltigkeit über ihren Inhalt hinaus. Der erste Band zeigt in über 350 Fotografien das vielfältige Gesicht Südtirols: unberührte Südtiroler Landschaften, markante Porträts der Produzenten, Einblicke in die Bergwelt, Gerichte und deren Zutaten. Der zweite Band enthält die Sammlung von über 60 Rezepten.

Norbert Niederkofler: „Cook the Mountain – The nature around you“ • Bildband und Rezeptband im Schuber • Hardcover, rund 560 Seiten im Format 28,0 x 33,0 cm • 98 Euro • Südwest Verlag • ISBN: 978-3-517-09920-0

Text & Interview: Sabine Romeis
Fotos: Alex Moling, Studio Ignatov, Paolo Riolzi