Kreativ mit Fichte, Tanne & Co.
Wald auf dem Teller
Das kreative Kochen mit den verschiedenen Nadelbaumaromen ist viel mehr als ein kulinarischer Gag. Die jungen Triebe von Fichte, Tanne, Lärche & Co. heben das Thema Regionalität auf ein neues Level und bringen das Terroir des Waldes auf den Teller des Gastes
Wer bei Fichte und Tanne nur an Weihnachten und Sauna-Aufguß denkt, übersieht schnell die kulinarischen Möglichkeiten. Es lohnt sich, die sensorische Welt der Nadelbäume zu entdecken. Nun, in Frühjahr, sprießen die Maiwipfel, die jungen, zarten Triebe von Fichte und Tanne, die reich sind an Vitamin C, ätherischen Ölen, Harzen und anderen wertvollen Inhaltsstoffen – also viel zu schade, um nur Hustensirup daraus zu machen. Die Kräuterpädagogin Victoria Lorenz zeigt in ihrem Buch Nadelbaumküche, wie sich Fichte, Tanne & Co. in der Küche verwenden lassen. „Jede Nadelbaumart hat ein ganz eigenes Aromenprofil“, so die Autorin. „Der Wald lädt Köche zum Entdecken und Experimentieren ein.“
Von harzig-zitronig bis mandarinenartig
Die Fichte etwa liefert ein frisches, leicht harzig-zitroniges Aroma, das sich zum Beispiel für Emulsionen oder zur Abrundung säurebetonter Dressings eignet. Die Weißtanne mit ihren milden, mandarinenartigen Noten lässt sich besonders gut in cremige Zubereitungen wie etwa Mousses oder Panna Cotte integrieren. Die Douglasie wiederum zeigt überraschend fruchtige Noten, die an Orange und Grapefruit erinnern und besondere Akzente in Sirupen oder Sorbets setzen. Die Kiefer schließlich mit ihren erdigen, pfeffrigen Untertönen ist ein idealer Aromenspender für Fonds, Jus und Rubs, und passt nicht nur zu Wildfleisch.
„Um sie roh zu essen, sollten Maiwipfel ganz jung und frisch sein. Später geerntet, kann das Innere schnell holzig werden.“
David Weigang, Küchenchef, Restaurant Verbene, Koblenz
Kreative Köche haben die die feinen grünen Sprossen der Nadelbäume bereits für sich entdeckt. David Weigang, Küchenchef im Restaurant Verbene in Koblenz, schätzt die Maiwipfel für seine Sterneküche. „Wir kooperieren mit einem Weihnachtsbaum-Produzenten und dürfen die unteren Triebe kappen.“ Mit Fichtensprossen bringt David Weigang Pfiff ins Granité. „Oder wir backen die marinierten Triebe in Tempurateig knusprig aus und reichen einen süß-säuerlichen Dipp mit gehackten Fichtensprossen dazu – ein erfrischend leichter Apéro, der wie ein kleines Tannenbäumchen aussieht.“ Die feinen Fichtennadeln werden im Verbene Bistro in Salate integriert oder als Aromenkick über eine aufgeschlagene Butter gestreut. „Um sie roh zu essen, sollten die Sprossen ganz jung und frisch sein“, sagt David Weigang. „Werden sie später geerntet, kann das Innere der Maiwipfel schnell etwas holzig werden, und die herben Gerbstoffe dominieren.“ In diesem Reifegrad legt er sie gern in Sirup oder Honig ein, um die extrahierten Aromen weiter zu nutzen.
Es kommt auf die richtige Dosis an
Thomas Schanz vom Restaurant schanz. in Piesport freut sich in jedem Frühjahr auf Maiwipfel. „Ein großartiges Produkt“, schwärmt der Drei-Sterne-Koch. „Man hat den Geschmack von Tanne und Fichte auf der Zunge und eine elegante Säure.“ Die Nadeln der kleinen jungen Triebe streut er zum Beispiel als Topping über einen Schwarzen Seehecht und schafft so eine delikate Vermählung von Wald & Meer. Im Dessertbereich bereichern die feinen Aromen der Nadelbäume beispielsweise ein Fichten-Birnen-Sorbet auf Sherrysüppchen. „Aufgrund der Frische, Säure und ätherischen Öle kann man die Maiwipfel fast überall in der Küche einsetzen. Es kommt nur auf die richtige Dosis an“, sagt Thomas Schanz.
Durch Einfrieren die Saison verlängern
Frische Maiwipfel halten gekühlt etwa eine Woche. Durch Einfrieren kann man die Saison verlängern, muss jedoch Einbußen beim Aroma in Kauf nehmen. „Mit etwas Vorarbeit lassen sich Nadelbaumsprossen gut mit in den Herbst und Winter nehmen“, berichtet Yannick Noack vom Restaurant Gotthardt’s by Yannick Noack in Koblenz. Gerade Fermentation eröffnet nach seiner Erfahrung viele Möglichkeiten, um die Aromen der saisonalen Produkte rund ums Jahr zu nutzen. „Man reift, fermentiert, verarbeitet den Sud – es gibt viele Techniken und Möglichkeiten, um die Aromen der Nadelbäume zu konservieren, um damit auch später im Jahr spannende Akzente zu setzen“, sagt Yannick Noack. Reduktionen aus frischen Maiwipfeln sind eine weitere Variante. Oder er legt die Sprossen ein und karamellisiert sie.
„Aufgrund der Frische, Säure und ätherischen Öle kann man Maiwipfel fast überall in der Küche einsetzen.“
Thomas Schanz, Küchenchef, schanz. restaurant, Piesport
Wie Thomas Schanz fehlt Yannick Noack die Zeit, um Fichten- und Douglasiensprossen selbst im Wald zu sammeln. Beide Köche beziehen sie deshalb von WS Waldfrüchte und Saat in Münstermaifeld (www.waldgold.com). Die Manufaktur von Dr. Johannes Frankenfeld hat sich auf die Wildsammlung von pflanzlichen Rohstoffen aus den heimischen Wäldern spezialisiert. Leuchtturmprodukt ist die Buchecker, mit der das Start-up nach gerade mal zwei Jahren nach eigenen Angaben bereits über 250 Sternerestaurants europaweit versorgt. „Fichten- und Douglasientriebe liefern wir auf Bestellung erntefrisch in einem Umkreis von etwa 70 Kilometern. So entlasten wir die Köche, denen meist die Zeit für eigene Waldexkursionen fehlt“, berichtet Johannes Frankenfeld. Beim Selbersammeln von Nadelbaumzutaten für den Verzehr ist ohnehin Vorsicht geboten. Essbar sind Fichte, Tanne, Kiefer und Douglasie. Die Eibe hingegen ist hochgiftig und darf keineswegs verwendet werden. Auch sollten die Nadelbäume aus biologischem Anbau oder aus unbelasteten Wäldern fern von Straßenverkehr und intensiv bewirtschafteten Forsten stammen.
Von Fichtensprossen-Pesto bis „Waldkaviar“
Die Kräuterpädagogin und Buchautorin Victoria Lorenz zeigt in ihrem Buch, wie Zutaten von essbaren Nadelbäumen rund ums Jahr die (unkonventionelle) Küche bereichern können. Die Ideen reichen von frischen Maiwipfeln auf gebratenem Spargelsalat über ein aromatisches Fichtensprossen-Pesto bis hin zum sogenannten „Waldkaviar“, der auf Senfsaat basiert, die mit gehackten Fichtennadeln und einem Fichtennadelsud aromatisiert wird. Die klein gehackten Nadeln der Sprossen ergeben in Kombination mit Frischkäse eine raffinierte Füllung für Ravioli, und auch in der Pâtisserie findet der Nadelbaum Verwendung: Beim Fichtennadel-Tiramisu z.B. wird die klassische Kaffeekomponente durch ein kaltgezogenes Nadelmazerat ersetzt, das mit hellen Aromen von Zitrus, Harz und Waldhonig begeistert und das allseits beliebte Dessert von einer völlig neuen Seite zeigt.
Auch für die Gesundheitsküche geeignet
Reizvoll sind die Nadeln aber auch in flüssigen Anwendungen. So eröffnen sich mit Shrups (Sirup auf Essigbasis), Sirups und Fermentationsansätzen wie Oxymel (eine Mischung aus Essig, Honig und Nadeltrieben) viele kreative Möglichkeiten, und zwar nicht nur für Barkeeper. Neben dem breiten geschmacklichen Potential überzeugen die Nadelbaum-Zutaten mit ihren ernährungsphysiologischen Eigenschaften. So wirken etwa die enthaltenen ätherischen Öle unter anderem antioxidativ, ent-zündungshemmend und antimikrobiell. Das macht die Schätze essbarer Nadelbäume auch für die vitale Gesundheitsküche interessant.
Im Übrigen lassen sich junge Triebe und Nadeln nicht nur im Frühjahr, sondern ganzjährig in der Küche verwenden. „Auch die jungen Blüten der Nadelbäume können genutzt werden sowie der gelbe Blütenstaub, den man nur einfangen muss“, sagt Kräuterpädagogin Victoria Lorenz, die auch die Nadelbaumzapfen für sich entdeckt hat. „Ich koche junge Kiefernzapfen über Stunden in Sirup, bis sie butterweich sind, und nutze dann den geschmacksintensiven Sirup zur Aromatisierung von Gerichten oder kombiniere die zerdrückten weichen Zapfen mit Eis u.a..“ Den getrockneten Zapfen hobelt sie auf gebeizten Fisch. „Beim Gang durch die Nadelwälder fallen mir täglich neue Rezepte ein.“
BUCHTIPP
Nadelbaumküche. Wilde Waldaromen von Fichte, Tanne und Co.
Auf 130 Seiten hat Kräuterpädagogin Victoria Lorenz alle wichtigen Fakten rund um die Bestimmung von Nadelbäumen, Wirkstoffe, Heilkunde und Kulinarik zusammengefasst. Mit vielen Rezepten zeigt sie, wie heimische und essbare Nadelbäume rund ums Jahr genutzt werden. Als eBook (18 Euro) oder Softcover-Buch (22 Euro) unter vildvuchs.myshopify.com. Hier kann auch ein Online-Kurs über Nadelbaumküche gebucht werden.
Text: Cornelia Liederbach
Fotos: Victoria Lorenz; Adobe Stock