CODA, Berlin
Am Anfang war die Dessertbar
Heute ist das CODA in Berlin-Neukölln ein Restaurant mit zwei Michelin-Sternen und bietet ein Fine-Dining-Erlebnis, das in keine Schublade passt. Gründer René Frank und Küchenchefin Julia Leidner stehen für eine Küche, die von Desserts inspiriert ist
René Frank, Koch & Pâtissier, revolutioniert das herkömmliche Menüverständnis: In seinen außergewöhnlichen Kreationen im Berliner Restaurant CODA trifft natürlich süß auf umami, salzig, sauer und bitter. Die Süße aus Gemüse und Früchten begleitet die herben Noten aus Kräutern. Die Säure aus Zitrusfrüchten kombiniert er mit dem Umami aus proteinreichen Hülsenfrüchten oder Pilzen. René Frank bricht mit klassischen Dessert-Bildern und zeigt, dass Pâtisserie so viel mehr sein kann als der letzte Gang des Menüs. Charakteristisch für seine Gerichte ist der Verzicht auf Industriezucker, Weißmehl und künstliche Aromen. Auch Zutaten wie Milch, Sahne und Butter rücken bei ihm in den Hintergrund.
Anstelle von raffiniertem Zucker, der in der klassischen Pâtisserie nicht wegzudenken ist, nutzt René Frank Produkte, die von Natur aus Süßkraft haben wie z.B. Mais, Rote Bete, Möhren, Petersilienwurzel oder fermentierter Reis. Sie werden mit innovativen Techniken so verarbeitet, dass der natürliche Zuckergehalt genutzt werden kann. Am Ende entstehen Teller mit einem komplett neuen Image: aromatisch, hochkomplex und deutlich kalorienärmer als die traditionellen Dessert-Verwandten. Sie sind leicht, bekömmlich und offenbaren ein ausbalanciertes Spiel von Aromen und allen fünf Geschmacksrichtungen.
Sind das überhaupt noch Desserts? „Nein!“, sagt René Frank. Er zieht es vor, von „nicht-binären Desserts“ zu sprechen. Sein Menü besteht ausschließlich aus non-konformen Speisen. Er unterteilt es auch nicht in Gänge, sondern in 15 Servings. Serviert werden komplexe Gerichte und raffinierte Snacks, die auf den Techniken der Pâtisserie basieren. Im CODA gibt es acht Sitzplätze an der Bar mit Blick in die offene Küche und 20 an Tischen. Mit seinem Team um Küchenchefin Julia Leitner entführt René Frank von Dienstag bis Samstag ab 19 Uhr auf eine rund vierstündige Geschmacksreise mit 15 Servings.
6 Fragen an René Frank
„Wir machen nicht-binäre Desserts“
Wie hat sich Ihre Küche im Laufe der Jahre verändert?
Frank: Unsere Philosophie hat sich grundsätzlich nicht verändert. Wir sind nach wie vor von den Techniken der Pâtisserie inspiriert, legen großen Wert aufs Handwerk und beste, natürliche Ausgangsprodukte. Wir arbeiten kontinuierlich daran, selbst bewährte Gerichte immer noch ein Stückchen besser zu machen. Inzwischen nutzen wir fast ausschließlich die Eigensüße von Produkten und achten im Sinne der Ausgewogenheit auf Umami, zum Beispiel durch Käse. Das ist wichtig, damit der Gast nach dem Abend bei uns nicht das Gefühl hat, noch einen Burger essen zu müssen. In Japan habe ich gelernt, dass ein Essen dann satt und zufrieden macht, wenn eine gewisse Menge Umami enthalten war.
Ihre Zeit im Ausland prägt Ihre Arbeit also bis heute?
Frank: Absolut. Und ich bin nach wie vor viel unterwegs. Ohne die Erfahrung im Ausland könnte ich das, was ich hier im CODA mache, nicht machen. Es ist eine komplett eigenständige Küche, stark geprägt von meinen Background als Koch und Pâtissier und beeinflusst von dem, was ich vor allem in Japan über unterschiedliche Geschmacksrichtungen und Konsistenzen gelernt habe. Lange haben wir das CODA unter dem Claim „Dessert Dining“ vermarktet. Das ist inzwischen missverständlich. Wir sind heute definitiv kein Dessertrestaurant mehr und stehen für eine non-konforme Küchenphilosophie, die in keine herkömmliche Restaurantkategorie passt.
Wie und als was soll Ihre Küche künftig wahrgenommen werden?
Frank: Da wir in einer bunten, toleranten Stadt wie Berlin sind, würde ich unsere Gerichte als nicht-binäre Desserts bezeichnen – nicht-binär im Sinne von nicht konform. Berlin steht für Offenheit und Freiheit, darum ist das CODA hier genau richtig. In Berlin kann jeder machen kann, was er will, und seine Persönlichkeit ausleben. Ich drücke meine Persönlichkeit durch meine Speisen aus.
„Umami ist wichtig, damit der Gast am Ende nicht das Gefühl hat, noch einen Burger essen zu müssen.“
René Frank, CODA-Gründer & Mitinhaber
Ein Abend im Restaurant CODA kostet 264 Euro pro Person, am Samstag sowie an/vor Feiertagen 298 Euro. Was ist in diesem Preis enthalten?
Frank: Ein Menü mit 15 Servings, bei dem die sechs komplexeren Gerichte von sechs Pairing Drinks à 20 Milliliter begleitet werden, die perfekt auf die jeweiligen Speisen abgestimmt sind. Darüber hinaus kann der Gast von der Weinkarte mit 350 Positionen Champagner, Riesling und Sake bestellen. Seit neuestem bieten wir einen Wine Flight an – sechs Gläser Wein à 50 Milliliter, die man zwischen den Gängen oder zu den kleineren Servings genießen kann. Das wird von den Gästen sehr gut angenommen.
Ihre Küche basiert auf den besten Zutaten und präzisem Handwerk. Sie stellen sogar Schokolade und Kuvertüre selbst her – welche Vorteile bringt das?
Frank: Bei uns werden rohe Kakaobohnen aus kontrolliertem Anbau mit der Steinwalze verarbeitet. Wir wollen perfekte Frische und selber bestimmen, wie stark wir die Bohnen rösten, welches Süßungsmittel wir verwenden, ob und welches Fett wir zufügen und wie lange wir conchieren. Für eine Mousse zum Beispiel geht es um 100 Prozent Kakaomasse für Leichtigkeit und Geschmack. Eine zugekaufte Schokolade enthält oft große Mengen Fett und Zucker. Nicht zuletzt ist es für uns auch wirtschaftlicher, Schokolade selber zu machen.
Wie soll die Erfolgsgeschichte des CODA weitergehen?
Frank: Jahrelang war es eine Art Münzwerfen, ob wir weitermachen oder nicht. Jetzt, nach acht Jahren, sind wir an einem Punkt angekommen, wo das Konzept rund ist und es auch wirtschaftlich Sinn macht. Aber ich weiß natürlich, dass ein Restaurant wie das CODA nie erwachsen wird und weiterhin sehr viel Aufmerksamkeit erfordert. Trotzdem bin ich sehr glücklich, mit dem was ich mache, weil ich meine Persönlichkeit ausleben kann und ein großartiges Team an meiner Seite weiß.
Interview: Sabine Romeis
Fotos: Claudia Goedke, Chris Abatzis